„Vielleicht bin ich ein lazy bastard, aber ich brauche keine Stundenerfassung!“

Autor lisa.wiedemuth

Erstellt am 14. Januar 2017 12:24


In unserem Strategietreffen im Dezember wurde deutlich, dass wir im letzten Jahr zwar gute Arbeit geleistet, aber viel zu wenig drüber gesprochen haben. Nicht über unsere Erfolge, sondern eher über die Art & Weise wie wir arbeiten (wollen). Im neuen Jahr wächst unser Team mit zwei neuen vollen Stellen. Dazu gehöre auch ich: als bisher einzige QuartiermeisterIN im Unternehmen wird mein Minijob nach dem Studium zur Vollzeit. Wer seit über zwei Jahren zusammenarbeitet, weiß wem er gegenübersitzt, hat Vertrauen in die Arbeit des Anderen und pflegt eine herzliche Unternehmenskultur. Wenn Quartiermeister samt Team (und Familiennachwuchs) jedoch weiterhin wächst, ist es wichtig, die unausgesprochen geltenden Regeln im gemeinsamen Arbeitsalltag zu hinterfragen, zu ändern oder festzulegen.

Was bedeutet Vollzeit?

„Ich packs erst um 11 heute. Bis gleich“. Unsere Arbeitszeiten waren schon immer recht flexibel. Wer später ins Büro kommt, wird trotzdem herzlich empfangen, wer um neun am Arbeitsplatz sitzt, wird wahrscheinlich eher allein sein. Wir sind alle Eulen (oder Väter) und kennen die Studien zur Arbeitsproduktivität: wenn die Eule zu zeitig arbeitet und zur Schnecke wird, kommt weniger bei rum. Außerdem erreicht man im Vertrieb sowieso niemanden vor elf. Wer länger schläft, muss länger arbeiten, oder auch mal zwischendurch von zuhause aus. Die 40-Stunden-Woche hat uns dann trotzdem manchmal an den Kräften genagt oder die Freizeit gepiesackt. Schließlich gibt es noch wesentlichere Dinge als Bier. Eine neue Familie zum Beispiel, Freunde, Freude, Schlaf oder einfach ein langes Wochenende. Wir haben uns deswegen entschieden alle auf 36 Stunden runterzugehen. Freitag frei oder Homeoffice, das ist jedem selbst überlassen. Ich sehe meinen Vater die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. "Das ist keine Arbeit, das ist institutionalisierte Unterstützung von Faulheit!". Aber wir sind nicht das einzige Unternehmen, das etablierte Arbeitsstrukturen infrage stellt. Nicht weil wir im Luxus schwimmen, sondern weil wir andere Prioritäten setzen und uns trauen (können), von vorgefertigten Mustern abzuweichen.

„Ballern, ballern, Luft holen“

Was kann alles in einer 36-Stunden-Woche passieren? Peters Haftnotiz ist kein Plädoyer für Hektik & Stress, sondern beschreibt unseren Habitus des Arbeitens. Es ist geradezu unmöglich, immer am Pils der Zeit zu bleiben. Flexible Arbeitszeiten helfen jedoch zumindest Schritt zu halten. Wer eine Woche ballert und gar nicht mehr nach Hause geht, weil ein großer Fisch am Haken hängt, der Schuh drückt oder sich die eigene Spaßbremse nicht anziehen lässt, kann die Stunden zu einem anderen Zeitpunkt zum Ausruhen nutzen, den Urlaub verlängern oder nach dem Kaffeetrinken nach Hause gehen. Peter, Matheo und ich schreiben gerne unsere Stunden auf. Wir wissen, dass die keiner anschaut, aber wir bilanzieren uns so selbst. Und die Davids? Die finden das eher nervig: „Vielleicht bin ich der lazy bastard, aber ich brauche keine Stundenerfassung. Ich habe Vertrauen, dass ihr richtig arbeitet!“. Genau, denn wieso sollten wir das auch nicht tun? Schließlich ist Quartiermeister ein Herzensprojekt. Wer von uns fett Kohle machen und entspannen möchte, der sollte sich einen anderen Arbeitgeber suchen. Wir arbeiten, weil wir an unsere Idee glauben, weil wir genauso wie unser Bier etwas Gutes tun wollen. Deswegen funktioniert auch (meistens) unser Homeoffice. Jeder darf von zuhause arbeiten, wenn er darauf Lust hat. Wir vertrauen uns und falls es Zweifel an der Produktivität des Anderen geben sollte, suchen wir das Gespräch. Wir merken, wir werden immer professioneller, aber wir geben Acht nicht allzu verbissen zu werden. „Ich will ins Büro kommen und stolz erzählen, dass ich einen fetten Termin gemacht habe, oder über Peters Mütze lachen, das ist für mich Arbeit!“, meint Matheo im Hinblick auf die wachsenden Homeoffice-Zeiten. Das Büro ist und bleibt der Ort des persönlichen Miteinanders und Austausches.

Methoden, Effizienz, gehaltvolles Wohlfühlen

Die Woche beginnt seit jeher mit unseren Meisterrunden am Montagmorgen. Das anfängliche „Wie geht’s? Wie war dein Wochenende?“, endet dann meistens in einem längeren Gespräch. Das ist uns aber auch wichtig. Schließlich haben wir uns alle sehr gern und stellen diese Fragen nicht nur rhetorisch. Wenn dann alles gesagt ist, lässt es sich besser aufs Arbeiten konzentrieren. Was steht an? Wer kümmert sich darum? Unsere Effizienz könnte montags trotzdem noch meisterlicher sein. Wir haben uns deswegen überlegt, mehr Methoden zu integrieren, als „wild Gehirnsturm“ zu betreiben. Außerdem ist ab jetzt jemand verantwortlich, die Menschen montags zusammenzutrommeln, die Methode, den Plan und den Besprechungsraum vorzubereiten. Unangenehme Aufgaben teilen wir uns gern. Unangenehmen Angelegenheiten gehen wir nicht aus dem Weg. Und so endet die Diskussion beim Thema Gehalt. Richtet sich unser Lebensstandard nach unserem Gehalt oder entspricht er ihm? Während Freunde um die dreißig Haus & Auto kaufen, leben wir glücklich in Wohngemeinschaften. Wir sind sicherlich keine Konsummonster. Aber wir würden zum Beispiel alle ausschließlich im Biosupermarkt einkaufen, wenn wir uns das leisten könnten, oder Geld für den nächsten Urlaub sparen, oder in eine größere Wohnung ziehen. Den Spielraum, den Andere in unserem Alter und mit unserem Bildungsgrad haben, besitzen wir nicht. Dafür besitzen wir eine Vision und eine Arbeit bei der wir täglich mitbestimmen, gestalten und diskutieren dürfen. Wir sind Kollegen, die sich ungefragt Kaffee aufsetzen, Salat und Schokolade teilen, gemeinsam verkaufte Paletten und neue Kunden feiern und auch mal ihre drei Minuten haben dürfen. Was das Gehalt betrifft, ist die Diskussion noch nicht vorbei. Wir werden uns nochmal nächste Woche zusammensetzen. Dann kalkulieren wir mal genau, was man so fürs Leben braucht. Mein Vater würde sicherlich wieder die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, aber ich könnte erwidern: „Wann konntest du jemals so offen, gemeinsam mit deinen Kollegen und Arbeitgebern über ein gerechtes Gehalt diskutieren?“.


Archiv »