Die Quartiermeister*in kommt

Autor lisa.wiedemuth

Erstellt am 30. Mai 2017 09:10


Warum wir die Quartiermeister*in jetzt launchen

Seit mehr als drei Jahren sorgt der Launch der Quartiermeister*in in unserem Team immer wieder für Diskussion. An und für sich sind sich alle einig: Die Quartiermeister*in muss auf den Markt kommen! Aber wie und wann? Mit welcher Botschaft? Und mit welchen (weitreichenden) Folgen für unser Unternehmen und die Marke an sich?

Diese komplizierten Fragen und der Respekt vor der Femwashing-Falle haben uns bisher davon abgehalten, konkrete Schritte zu wagen. Mit der Zeit haben wir allerdings festgestellt, dass wir diese Kampagne auch gar nicht alleine stemmen können, sondern uns inhaltliche Unterstützung von verschiedenen Aktivist*innen, Blogger*innen und Engagierten hinzuholen müssen, um gemeinsam und aus verschiedenen Perspektiven ein Zeichen gegen Sexismus, insbesondere in der (Bier)werbung zu setzen. Sexismus in der Werbung - ist das denn immer noch aktuell?

Leider ja! Tagtäglich werden wir auf Plakaten, im Fernsehen, auf der Straße mit Stereotypen, Geschlechterklischees und nackten Körpern konfrontiert. Werbung reproduziert diese Rollen in unserer Wahrnehmung, kreiert Wünsche und formt Wertvorstellungen. Wir können uns von dieser Werbung catchen lassen, uns darüber lustig machen, uns davon abgrenzen oder medienwirksam Bombing betreiben, aber reicht das? Wir möchten mit unserer Kampagne Geschlechterklischees entzaubern und dem Dekorationsobjekt Frau in der Bierwerbung ein Gesicht auf unserer Flasche entgegensetzen. Nicht zur Zierde, sondern als Zeichen: Gleiches Bier für alle!

1. Was wollen wir mit dieser Kampagne bezwecken?

Unsere Kampagne und Sonderedition wird auf mehreren Ebenen greifen. Das Etikett wird auf allen Pilsenern zu 50% mit der Quartiermeister*in bedruckt sein, auch der Quartiermeister erhält ein Sternchen, unsere Biere bleiben dabei die gleichen. Zunächst werden wir die Resterlöse aus diesem Jahr (ca. 2500Euro) explizit an ein feministisches/queeres/antisexistisches Projekt vergeben und dieses inhaltlich begleiten. Projektanträge können noch bis zum 3. Juli bei uns eingereicht werden. Hier geht's direkt zum Förderantrag!

Unsere ganzjährige, reguläre Projektförderung inklusive Onlineabstimmungen bleibt dabei parallel bestehen. Wir werden gemeinsam mit Akteur*innen bspw. von pinkstinks und Innenansicht den Blog quartiermeisterin.org bespielen. Wir werden dort (einzelne) Werbungen, das dargestellte Rollenrepertoir der Frau und ihre Auswirkungen in verschiedenen Beiträgen beleuchten und mit euch diskutieren. Jede*r kann Teil dieses Blogs werden. Und zuguterletzt wird es neue, provokante Plakate, Bierdeckel und Sticker geben, die nicht nur wir verwenden wollen, sondern auch gern von euch genutzt werden dürfen. Ihr könnt gespannt sein!

 

2. Was wollen wir mit der Kampagne nicht bezwecken?

Wir möchten keinen Zeigefinger heben, sondern eine Diskussion anregen. Wir wollen dabei jedoch keine Debatte über gegendertes Bier auslösen, die an der Oberfläche kratzt. Uns geht es nicht um Pronomen! Wir wissen, das Sprache das Denken formt, ein- und ausschließen kann. Wir möchten in unserer Sprache alle Menschen einbeziehen. Grundsätzlich sollte sich die Diskussion allerdings um die Inhalte der Kampagne und nicht um „der, die, das Bier“ drehen.

 

3. Warum Quartiermeister*IN? Wozu das Sternchen?

Auf unserer Homepage und allen Onlineauftritten haben wir uns seit längerer Zeit bewusst dazu entschieden, das Gendersternchen zu benutzen. Das Sternchen ist (ähnlich der Suchfunktionen am Computer) als offener Platzhalter gedacht. Es ist ein Zwischenraum, jenseits der Begrifflichkeiten von „Mann“ und „Frau“. Quartiermeister*in wendet sich gegen Stereotypen und Geschlechterklischees und damit auch gegen den Ausschluss bzw. die Diskriminierung von Menschen, die sich nicht in diese Rollen einteilen können oder wollen.

 

4. Werdet ihr eure Marke Quartiermeister vollständig auf Quartiermeister*in umstellen?

Diese Frage wollen wir - obwohl wir uns der fehlenden Konsequenz durchaus bewusst sind - aktuell unbeantwortet lassen. Quartiermeister versteht sich als politische Marke, die sich seit Bestehen gesellschaftlich engagiert hat. Für uns ist die Quartiermeister*in der nächste und allererste Schritt in Richtung einer größer aufgezogenen gesellschaftlichen Kampagne, mit der wir das Thema Gleichstellung und Sexismus in der (Bier-)Werbung angehen und ein Zeichen setzen wollen, ideologisch wie finanziell.

Nach der Kampagne, die rund ein halbes Jahr dauern soll, werden wir sie evaluieren. Die Quartiermeister*in wird in jedem Fall weiter leben. Ob auf der Flasche, in Form von Merchandising oder anderweitig, halten wir uns offen, um auch in Zukunft Raum für weitere gesellschaftliche Diskurse zu haben. Dafür ist ein starker Markenkern unabdinglich. Auf den Flaschen werden allerdings nun beide Versionen mit Sternchen erhältlich sein, auch der Quartiermeister wird auf der Flasche zu Quartiermeister*in.

 

5. Gibt es nicht wichtigere Themen als Sexismus in der Bierwerbung?

Das Abwägen und Vergleichen von Problemen bzw. Konflikten ist grundsätzlich ein schwieriges Spannungsfeld. Sexismus als Diskriminierung von Gender ist unserer Meinung nach bis heute ein bedeutsames, gesellschaftliches Problem, welches nicht nur kulturell bedingt, institutionell gestützt, sondern auch individuell verinnerlicht wird. Werbung trägt einen maßgeblichen Teil zu dieser Verinnerlichung bei und darf in ihrer Auswirkung nicht unterschätzt werden.

Natürlich zählt Sexismus am Arbeitsplatz, im Netz oder als Übergriff im Alltag zu einer weitaus feindseligeren bzw. gefährlicheren Ausprägung, in unserer Kampagne legen wir jedoch bewusst den Fokus auf die „Bilder“ der Werbung und ihre Konsequenzen, die letztendlich auch andere Formen von Sexismen unterstützen können.

 

6. Ab wann ist Werbung eurer Meinung nach sexistisch?

Verschiedene Menschen können ganz unterschiedlich auf eine bestimmte Werbung reagieren. Das macht es auch bis heute noch schwer, einheitliche Richtlinien & Konsequenzen bei Verstößen gegen lauteren Wettbewerb festzulegen. Pinkstinks bringt den Unterschied zwischen „sexy“ und „sexistischer Werbung“ gut auf den Punkt:

 

Wir setzen unsere Grenzen und Kriterien außerdem ähnlich wie Terre de Femmes in der Schweiz. Werbung ist für uns dann sexistisch, wenn sie Geschlechtervorurteile bewusst unterstützt, Gewaltdarstellungen idealisiert, Körper auf Sexualität reduziert und traditionelle Rollenbilder in Familie & Haushalt verbreitet. Schwierig wird es bei der Reproduktion von Schönheitsidealen. Obwohl diese die wohl größten Auswirkungen auf Selbst- und Fremdwahrnehmungen haben, im schlimmsten Fall zu Körperscham und Essstörungen führen können, lassen sich dort schwer Grenzen oder Regulierungen ziehen. Da bleibt uns nur zu wünschen übrig, dass sich ein vielfältigeres Ideal von Schönheit zukünftig durchsetzt.

 

 7. Warum bringt ihr mit der Quartiermeister*in nicht gleich eine neue Sorte raus, ein Radler zum Beispiel?

Wir würden gern ein Radler auf den Markt bringen. Bisher fehlt unserer Partnerbrauerei noch die passende Anlage dazu. Doch selbst wenn wir die Möglichkeit hätten, würden wir sicherlich keine Frau auf die Flasche drucken. Damit würden wir gleich das nächste Klischee unterstützen: Frauen trinken lieber süßes Bier und Mischgetränke. Wir plädieren für: Gleiches Bier für alle!

 

8. Ist Werbung mit Feminismus heutzutage nicht etwas scheinheilig? Betreibt ihr nicht wie andere Marken in letzter Zeit verstärkt „Femwashing?“

Wir sind uns unserer schwierigen Rolle als Bierunternehmen bewusst. Doch im Gegensatz zu anderen Firmen & Konzernen übernehmen wir seit Anbeginn unseres Wirtschaftens Verantwortung für das Gemeinwohl. Wir möchten nicht nur Projekte fördern und Konsum zu einer guten und nachhaltigen Tat werden lassen, sondern unsere Vision von einer gerechteren Wirtschaft ganzheitlich denken und verbreiten. Dazu gehört ebenfalls die Sensibilisierung & Aufklärung unserer Konsument*innen. Die Kampagne soll kein verpuffender Werbegag zur Maximierung unserer Verkaufszahlen sein, sondern Inhalte transportieren. Dabei verfügen wir aufgrund unserer Förderung stets nur über ein geringes Marketingbudget.

 

9. Ich finde in meinem Späti immer nur den Quartiermeister, wie kommt das?

Leider ist es logistisch für unsere Brauerei bzw. Druckerei nicht möglich, einzelne Kästen durchmischt zu etikettieren. Aus diesem Grund hängt das Etikett je vom Abfüllungsdatum ab. Es kann von daher passieren, dass dein Späti eine Zeit lang nur den Quartiermeister verkauft und daraufhin die Quartiermeister*in geliefert bekommt. Uns wäre es natürlich auch lieb gewesen, hätten die beiden im Kühlschrank nebeneinander gestanden. Bei Großveranstaltungen können wir die Sonderetikettierung bestimmen und Festivals bspw. nur mit der Quartiermeister*in versorgen.

 

10. Wer entscheidet, wohin die Erlöse fließen?

Die regulären Onlineabstimmungen bleiben wie gehabt das ganze Jahr auf unserer Homepage und ihr könnt mitentscheiden, für welchen guten Zweck ihr trinken möchtet. Über die Resterlöse verfügt allerdings unser unabhängiger Verein. Er entscheidet, welches Projekt zusätzlich von unserer Sonderförderung profitiert. Der Verein ist für alle offen. Du kannst dich dort direkt mit deiner Stimme einbringen. Melde dich unter: mitmachen@quartiermeister.org

 

11. Werden Männer in Werbung nicht ebenfalls in Stereotype gezwängt?

Auf jeden Fall und das auch explizit in der Bierwerbung. Auch diese Stereotype möchten wir infrage stellen und diskutieren. Allerdings ist die Darstellung der Frau und ihrer Körpers als (teilweise zusammenhangsloses) Dekorations- oder ständig verfügbares Lustobjekt um Längen offenkundiger, extremer und sexistischer.  

 

12. Wozu braucht ihr ein Kampagnen-Gremium?

Wir möchten unsere Kampagne so korrekt und vielfältig gestalten, wie nur möglich. Dabei wissen wir auch, dass wir es nicht allen Recht machen können. Unser Team ist weitestgehend eine Männerdomäne. Aus dieser Position heraus glauben wir nicht, dass wir auf Anhieb alles richtig machen können. Deswegen stellen wir unsere Kampagne in einem Gremium zur Diskussion. Wir möchten die Perspektiven damit erweitern, selbstkritisch auf unser Produkt und unsere Arbeit schauen und uns inhaltlich stärken.

 

13. Wie kann ich bei der Kampagne meinen Senf dazugeben?

Du hast das Gefühl, deine Meinung zum Thema sollte auch veröffentlicht werden oder du möchtest deine Initiative und ihre Arbeit gegen Sexismus über den Quartiermeister*in-Kanal verbreiten? Du hast Anliegen, Anregungen oder derbe Meinungsverschiedenheiten? Melde dich unter: mitmachen@quartiermeister.org

 


Archiv »