Corona-Talk mit Vivi, Kati & Roman vom Vorstand: "Zwischen dem Verein und der GmbH ist es wie in einer Ehe: Wenn’s bei dem einen Partner kriselt, muss der andere reagieren"

Autor annika.bruemmer

Erstellt am 3. August 2020 09:20


Quartiermeister wäre nicht Quartiermeister ohne den ehrenamtlichen Verein, der sich um die Vergabe der Fördergelder kümmert, die all die fleißigen Menschen Jahr für Jahr zusammentrinken, denn 10 Cent pro Liter fließen in unseren Spendentopf. Wir haben mit Vivi, Kati und Roman vom Vorstand gesprochen, was Corona für Auswirkungen auf unsere Projektförderung hat.

Alex, Kati, Roman, Thomas & Vivi (Vorstand Quartiermeister e.V.)

 

Der Verein generiert einen Großteil seiner Einnahmen durch Events, wie z. B. den Karneval der Kulturen. Wie wirkt sich der Wegfall aller Veranstaltungen auf die finanzielle Situation des e.V. aus?

Vivi: Jedes Jahr im Februar oder März planen wir auf der Jahreshauptversammlung die Budgets für das folgende Jahr. Das war dieses Jahr zwei Wochen vor dem großen Lockdown. Da haben wir sämtliche Einnahmen und Ausgaben einbudgetiert. Einnahmen für den Verein sind einerseits die Einnahmen der GmbH, die dann in Teilen von uns als Fördergelder verwendet werden. Dann haben wir interne Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen und Veranstaltungen, die wir auch nur für interne Ausgaben verwenden. In diesem Jahr mussten wir alle Veranstaltungen absagen. Der Einnahmebatzen fällt komplett weg. Wir haben mit 2.500 € gerechnet, die wir durch den Bierverkauf auf Veranstaltungen einnehmen würden. Das ist relativ viel und deutlich mehr als wir durch die Mitgliedschaften generieren.

Die Mitgliedsbeiträge bleiben natürlich erhalten. Da haben wir zugesehen, dass die stabil bleiben und eventuell sogar gesteigert werden können, z.B. durch neue Mitgliedschaften, neue Zahlungsformen oder durch ein Spenden-Tool auf der Homepage, weil wir natürlich gewisse Fixkosten haben, die wir jedes Jahr zahlen müssen, wie Versicherung oder Kontoführung. Gleichzeitig können wir viele andere Kosten reduzieren. Das sind sämtliche zellbezogenen Kosten, wie die Verpflegung auf unseren Vereinstreffen in den verschiedenen Zellen oder vereinsinterne Aktivitäten. Das fiel dieses Jahr zum größten Teil alles weg durch Corona, deshalb haben wir da keine Ausgaben.

Dann haben wir einmal im Jahr ein Retreat, der den größten Kostenblock darstellt. Glücklicherweise haben wir aber Roman, der uns mit seiner Ferienunterkunft eine kostenfreie Location stellen kann. Der Verein hat jetzt einen Teil der Kosten für die Vereinskoordination, also für Lisas Stelle, übernommen. Das liegt daran, dass das Unternehmen alle Mitarbeiter*innen in Kurzarbeit schicken musste, Werkstudent*innen aber kein Kurzarbeitergeld bekommen, worunter Lisa, unsere Vereinskoordination, fällt. Deshalb haben wir das fehlende Gehalt von Lisa von unseren internen Vereinsbudget aufgestockt. Das bezahlen wir aus Erspartem aus den letzten Jahren. Wir schauen dann nächstes Jahr, wie wir da weiter verfahren. Dieses Jahr passt das.

 

Quartiermeister sah sich zum Anfang des Lockdowns in seiner Existenz bedroht und musste unmittelbar alle Ausgaben auf ein Minimum schrauben. Was bedeutet das für die Projektförderung?

Kati: Da Quartiermeister hart vom Lockdown und der Schließung der Gastronomie getroffen war, war sofort klar, dass die Förderung eingefroren werden muss. Die Förderung ist natürlich eines der Kernanliegen von Quartiermeister. Aber die GmbH und der Verein gehen Hand in Hand. Das heißt: Wenn kein Umsatz generiert werden kann, kann keine Förderung stattfinden. Es fließt immer ein fester Satz von 10 Cent pro Liter in unseren Fördertopf. Am Ende des Jahres wird ermittelt, wie viele Liter Bier verkauft wurden und wir erhalten dann die 10 Cent pro Liter. Letztes Jahr liefs echt gut. Es wurden 560.000 Liter verkauft, das heißt, wir hätten 56.000 € für die Förderung gehabt. Wir haben besprochen, dass wir diese Summe ausschütten werden, sobald es dem Unternehmen wieder besser geht. Es war klar, dass der Grundsatz der Projektförderung auch durch Corona nicht angegriffen werden soll.

 

Wie steht ihr zu der Entscheidung, dass die Projektförderung zunächst eingefroren wurde?

Kati: Es hat sich auf jeden Fall richtig angefühlt, die Förderung einzufrieren, um sicherzustellen, dass das Unternehmen überlebt und somit das Grundprojekt Quartiermeister bestehen bleiben kann. Retrospektiv sind wir sehr zufrieden mit der Entscheidung. Wir standen die ganze Zeit im engen Austausch mit dem Unternehmen. Wir haben mit der Entscheidung den sicheren Weg gewählt. Klar waren wir wehmütig, gar keine Förderung ausschütten zu können. Gerade in dieser Zeit, wo natürlich auch viele soziale Projekte an ihre Grenzen kommen. Wir hatten zu Beginn des Jahres sogar noch überlegt, einen Soli-Topf einzurichten. Dieser Topf sollte genau solchen Projekten unter die Arme greifen, die ganz dringend Support brauchen. Dennoch haben wir die Entscheidung, die Projektförderung zunächst auszusetzen, gemeinsam mit dem Unternehmen gefällt. Das war auf jeden Fall der vernünftigste Weg.

 

Gibt es schon Lichtblicke, ab wann der Verein erneut fördern kann?

Kati: Wir sind gerade dabei, ein System zu entwickeln, wie wir die Förderung perspektivisch langsam wieder hochfahren zu können – parallel zum Unternehmen, das ja auch langsam etwas besser auf die Beine kommt. Wenn abzusehen ist, dass der Umsatz wieder steigt, möchten wir gleichzeitig die Förderung langsam wieder anziehen. Wir werden versuchen, stufenweise die Gelder auszuschütten, die für dieses Jahr vorgesehen waren. Unser Anspruch und Wunsch ist es definitiv, die vorgesehene Förderung zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen. Aber nur so, wie es möglich ist, ohne dass es zu finanziellen Problemen für das Unternehmen kommt.

 

Habt ihr da schon einen Zeitpunkt ins Auge gefasst, ab wann es wieder losgeht mit der Förderung?

Kati: Wir haben mit dem Unternehmen bestimmte Grenzwerte festgelegt. Wenn im dritten Quartal ein gewisser Umsatz, und eine damit verbundene Sicherheit für das Unternehmen erzielt werden kann, soll im vierten Quartal die erste Förderung stattfinden. Das werden wir aber situativ entscheiden.

 

Hat sich eure Arbeit als Vorstand des Quartiermeister e.V. in den letzten Monaten durch Corona verändert? Und wenn ja, inwiefern?

Roman: Die Arbeit im Vorstand hat sich definitiv intensiviert. Normalerweise haben wir monatliche Meetings. Durch die Krise haben wir regelmäßigere Calls mit der Firma gehabt, weil wir uns viel effektiver und schneller austauschen mussten, um schnelle Entscheidungen zu treffen. Das hat die Zusammenarbeit mit der GmbH noch einmal intensiviert. Dadurch, dass wir im Verein an verschiedenen Orten Deutschlands organisiert sind, haben wir eh schon immer viel digital gearbeitet.

 

Fielen in den letzten Monaten zusätzliche Aufgaben für euch als Vorstand an?

Roman: Naja, wir sind im Prinzip genau wie die Firma mit einer Art Krisenmanagement beschäftigt. Einerseits mussten wir mit der GmbH besprechen, wie wir als Verein auf Corona reagieren. Zwischen dem Verein und der GmbH ist es ja wie in einer Ehe: Wenn’s bei dem einen Partner kriselt, muss der andere reagieren. So war das als Corona begann. Wir mussten schnell reagieren und schnelle Entscheidungen treffen. Und da wir auch als Verein transparent arbeiten, war es uns sehr wichtig, alle getroffenen Entscheidungen schnell und transparent an alle Vereinsmitglieder zu kommunizieren. Da haben wir als Vorstand sehr gute Arbeit geleistet. Das war gutes Teamwork!

 

Gibt es Dinge, die ihr als Verein tun konntet, um Quartiermeister zu unterstützen?

Roman: Wir haben uns natürlich Gedanken darüber gemacht, was wir als Verein tun können. Wir wollten Quartiermeister so gut es geht unterstützen und mehr tun, als uns hin und wieder einen Kasten über den Stay Home Club nach Hause zu bestellen. Wir wollten mehr helfen! Wir haben dann alle Mitglieder dazu aufgerufen, bei jedem Einkauf zu schauen, dass Quartiermeister im Supermarkt-Regal gut platziert ist. Wir haben die Etiketten nach vorne gedreht und wenn wir Quartiermeister im Handel vermisst haben, auch einfach das Personal vor Ort drauf angesprochen. Das schafft Nachfrage. Das war unser kleiner Beitrag als Verein, um die Firma zu unterstützen.

 

Normalerweise treffen sich die verschiedenen Vereinszellen regelmäßig zu Vereinstreffen oder für die Auswertung der Anträge auf unsere Projektförderung. Habt ihr euch in den letzten Wochen und Monaten überhaupt zu Gesicht bekommen?

Roman: Nicht so wirklich. Als die Pandemie ausgebrochen ist, war das wie eine Art Innehalten. Jede*r musste erst mal selbst schauen, wie er oder sie mit der Krise umgeht. Wir alle haben unser persönliches Umfeld und unterschiedliche Jobs, unterschiedliche familiäre Situationen. Uns ist dann aber schnell klargeworden, dass wir schon den Kontakt wiederhaben wollen. Lisa hatte dann die Idee der „Wertuellen Kneipenabende“. Das war etwas ganz Besonderes. Jede*r hatte das Bedürfnis, mal wieder rauszugehen und sich auszutauschen, aber auch Gelegenheiten zu nutzen, um an interessante Informationen zu kommen. Mit den Wertuellen Kneipenabenden hatten wir wirklich schöne Treffen, die auch oft lustig waren. Wir haben immer ein bestimmtes Thema besprochen, was wir als Verein nach außen tragen wollten. Trotzdem fehlt uns der persönliche Umgang. Das möchten wir als Vorstand schnellstmöglich wieder aktivieren.

 

Es gab doch auch mal einen digitalen Bierworkshop mit David, oder?

Roman: Oh, da war ich leider nicht dabei. Ich habe aber gehört, dass es an Bier nicht gemangelt hat.

Vivi: Ich war dabei! Das war sehr schön. Das war ziemlich am Anfang von Corona. Da sind Leute aus allen Zellen zusammengekommen. Auch Leute, die man schon ewig nicht mehr gesehen hat oder die vor Ort auch gar nicht so aktiv sind. Das war wirklich ein tolles Gefühl, alle zu sehen. Das hat man in dieser Form eigentlich nur auf unserem Jahres-Retreat.

 

Habt ihr auch etwas über Bier gelernt?

Vivi: Ich habe das erste Mal ein paar Dinge verstanden, die ich nach zehn Bierworkshops noch nicht verstanden hatte, z. B. was obergärige Hefe bedeutet (lacht). Die meisten von uns waren echt gut vorbereitet und hatten verschiedene Sorten da. In Dresden haben sich die Leute im Park getroffen und zusammen getrunken. Es war echt schön.

 

Wie war aus eurer Sicht die Kommunikation mit der GmbH während Corona?

Roman: Sehr besonders. Wir haben auch in den Monaten vor Corona sehr gut zusammengearbeitet. Es gab viele Veränderungen in der Struktur, z. B. was Professionalität angeht. Wir haben also bereits intensiv an unserer Kommunikation gearbeitet und waren eigentlich schon alle happy. In der Krise hat sich dann gezeigt, dass wir ein sehr gutes Fundament haben. Da muss die Kommunikation schon sehr gut laufen. Man muss sich in gewissen Situationen auch mal zurücknehmen können und im Interesse der anderen denken. Es gab es kein einziges Treffen, in dem wir nicht auf einen Nenner gekommen sind. Und wir haben echt über strenge und harte Themen gesprochen. Ich mein, wenn wir über die Verwendung von Fördergeldern sprechen, haben wir als Vorstand eine große Verantwortung. David und Peter haben sich viel Mühe gegeben, uns die Zahlen 100% transparent offenzulegen und haben sehr offen über ihre Gedanken, ihre Ängste, ihre Hoffnungen gesprochen. Wir als Vorstand waren uns sicher, dass alle Entscheidungen sowohl im Interesse der Firma als auch des Vereins getroffen wurden. Da hatten David und Peter unsere 100%ige Rückendeckung.

 

Hattet ihr jemals Angst, dass Quartiermeister an Corona zugrunde gehen könnte?

Roman: Bei mir sind relativ schnell die Alarmglocken losgegangen, da ich weiß, dass Quartiermeister in der Gastronomie sehr stark ist und im Handel gerade die ersten Schritte geht. Durch den Lockdown der Gastronomie war das eine sehr ernste Lage. Es wusste ja niemand, wie lange der Lockdown dauern würde. Quartiermeister ist mit ca. 80 % seines Umsatzes von der Gastro abhängig. Mal abgesehen davon, dass ein Laden zumacht, ist ja die nächste Frage, ob er überhaupt wieder aufmacht und wie er aufmacht. Tische mussten auseinandergestellt werden, die Läden konnten nur zu 60% ausgelastet werden, was dann wiederum nur 60% des Umsatzes bedeutet. Was ist mit den Clubs, wie z.B. dem YAAM, was ein sehr enger Partner von Quartiermeister ist? Kommen die jemals wieder an den Start? Überleben diese Clubs? Die Frage ist, ob der Handel diese Umsatzeinbußen überhaupt auffangen kann. Deswegen habe ich mir sehr viele Sorgen gemacht, ob das funktioniert. Wir können nur froh sein, dass die Regierung eine gute Unterstützung geleistet hat und wir auch davon profitiert haben. Aber meiner Meinung nach war das eine extrem kritische Situation.

Kati: David und Peter haben eine sehr sichere Ausstrahlung gehabt in ihrer Kommunikation, was die Sicherheit und das Unternehmen angeht. Deshalb habe ich mir eigentlich zu keinem Zeitpunkt wirkliche Sorgen gemacht. Ihre Aussagen klangen immer vollkommen fundiert und waren mit Zahlen belegbar. Deshalb kamen bei mir nie Zweifel auf. Ich habe mir eigentlich nur über die Mitarbeiter*innen von Quartiermeister Gedanken gemacht und gehofft, dass niemand seinen Job verliert und dass alle mit dem Kurzarbeitergeld gut über die Runden kommen. Deshalb war ich auch froh, dass wir als Verein die Möglichkeit hatten, Lisa, unsere Vereinskoordination, zusätzlich zu supporten und zumindest hier unseren Beitrag leisten konnten. Meine Sorgen galten also eher den Menschen hinter Quartiermeister als dem Projekt an sich.

Vivi: Ich habe mir eigentlich nur zum Anfang, also Mitte März, Sorgen gemacht, weil es bei Quartiermeister – im Vergleich zu anderen Unternehmen – keine großen Kredite gibt. Keine Investoren oder sonst jemanden, der schnell aufspringen kann, um Geld ins Unternehmen zu pumpen, so wie es bei sehr vielen anderen Start-ups der Fall ist. Die Unabhängigkeit von Quartiermeister wurde also kurzfristig zu einem gefühlten Nachteil. Die Sorgen sind aber relativ schnell wieder verflogen. Einfach, weil wir so viel miteinander gesprochen haben. David und Peter, und auch das gesamte Team, haben sehr konzentriert und gut daran gearbeitet, dass wir irgendwie zusammen überleben.

 

Gibt es etwas, was ihr noch loswerden wollt?

Kati: Für mich als neues Vorstandsmitglied war es sehr schön, einen Ort zu haben, an dem man sich austauschen kann. Wir haben uns im Vorstand fast wöchentlich digital gesehen. Vielleicht ist die Gruppe des Vorstands sogar die Gruppe, die mich im letzten halben Jahr am regelmäßigsten begleitet hat. Ich habe auch gemerkt, dass ein Social Business doch sehr belastbar ist, weil wir einfach an den ideellen Werten so sehr festhalten und das mehr bedeutet, als einfach nur Umsatz. Ich schaue jetzt sehr positiv in die Zukunft und freue mich, wenn wir dieses Interview irgendwann wiederholen und über die Zukunftsperspektiven reden (lacht).

Roman: Es ist ein tolles Gefühl, ein Teil von Quartiermeister zu sein. Man ist einfach mehr als nur der Einzelne. Die Vision von Quartiermeister steht so weit oben und wird mit so viel Leidenschaft getragen – auch in so einer Krise. Peter und David hätten wirklich kopflos durch die Gegend rennen können. Aber die beiden waren immer transparent und haben zu jeder Zeit ein gutes Gefühl vermittelt. Das hat uns als Verein sehr motiviert, dieses Gefühl weiterzutragen. Meiner Meinung nach werden wir gestärkt aus der Krise hervorgehen. Wir sind noch enger zusammengewachsen. Und trotzdem: Die Situation ist nicht beendet.

Vivi: Ich denke, dass die Zeit gezeigt hat, dass es viel mehr Sinn für die ganze Gesellschaft macht, wenn alle Unternehmen nachhaltig wirtschaften würden und sich an Quartiermeister ein Beispiel nehmen würden. Es hat sich gezeigt, dass Unternehmen, die gesund arbeiten und nicht ausbeutend, zukunftsfähig sind. Und ich wünsche mir, dass es mehr Unternehmen gibt, die so sind.

Roman: Wir sind die einzige Biermarke, die systemrelevant ist (lacht).

Vivi: Das ist ein guter Abschluss!


Archiv »