Corona-Talk mit Max: "Es war klar, dass es irgendwann einen Nachfolger für mich geben muss. Corona hat das wohl beschleunigt"

Autor annika.bruemmer

Erstellt am 24. August 2020 09:50


Dank Max gibt es Quartiermeister seit letztem Jahr in Stuttgart, denn bis März 2020 hat er auf einer Basis von 10 Stunden den Vertrieb dort gerockt. Als Mitgründer des ersten Foodsharing-Cafés in Deutschland, der Raupe Immersatt, haben Max ganz andere Dinge als Quartiermeister beschäftigt, als der Lockdown verhängt wurde. Wie Max die letzten Monate erlebt hat, lest ihr im Interview.

Was hast du gedacht als du zum ersten Mal von Corona in den Medien gehört hast?

Das war um die Weihnachtszeit. Da hatte ich mit meinem Vater ein langes Gespräch drüber geführt. Es fühlte sich zwar noch sehr weit weg an, aber wir dachten bereits da, dass sich das Virus sicher schnell verbreiten kann. Danach habe ich Corona irgendwie komplett aus den Augen verloren. Ein Wochenende, bevor der Shutdown kam, war ich zu Besuch in Berlin und habe in der Rummelsbucht gefeiert. Das war ein komplett eskalativer Abend. Corona war so weit weg. Ich hatte eigentlich geplant, das darauffolgende Wochenende wieder nach Berlin zu fahren, weil eine andere Veranstaltung in der Rummelsbucht stattfinden sollte. Und dann kam Freitag, der Dreizehnte. Da war komplett alles durch. Wir waren hier im Café in Stuttgart – in der Raupe Immersatt – und es wurde alles ernst. Die Nachrichten überschlugen sich. Wir haben daraufhin direkt einen Krisenstab ins Leben gerufen. Im Nachhinein finde ich das ziemlich absurd, dass ich kurz vorher noch drüber nachgedacht habe, auf eine Party zu fahren und dann innerhalb von Stunden alles tot war. Das war ein total ambivalentes Verhältnis zwischen dem Ernst der Lage und meinen eigenen Handlungen.

 

Das heißt, Freitag, der Dreizehnte war ein kompletter Twist für dich?

Ja. An diesem Wochenende haben wir im Raupen-Team viel besprochen. Dafür haben wir uns viel Zeit genommen und einiges analysiert. Wir haben dann schon vor der offiziellen Anordnung der Landesregierung den Laden im Innenraum zugemacht. Wir haben bereits an dem Sonntag auf Kiosk-Betrieb umgestellt und nur noch außer Haus verkauft. Also ja, ab dem Zeitpunkt habe ich die Lage sehr ernst genommen. Der komplette Lockdown in Stuttgart kam dann am 18. März. Da war dann alles dicht.

 

Für Quartiermeister machst du 10 Stunden Vertrieb in Stuttgart. Hauptamtlich kümmerst du dich um die Raupe Immersatt, das erste Foodsharing Cafe in Deutschland, das du mitgegründet hast. Wie konntest du diese beiden Aufgaben unter einen Hut bringen? Die Raupe war ja durch den Lockdown auch hart getroffen.

Tatsächlich gar nicht. Das war ja auch dann ein Grund, weshalb Peter und ich im Einvernehmen beschlossen haben, dass sich unsere Wege – also Quartiermeisters und mein Weg – trennen. Wir waren mit der Raupe im totalen Krisenmanagement. Wir mussten entscheiden, was wir mit unseren Mitarbeitenden machen. Wir haben jede Soforthilfe mitgenommen, wir waren in den Startlöchern für Kurzarbeit. Das haben wir dann aber doch nicht gemacht, weil wir einigermaßen gute finanzielle Rücklagen gebildet hatten. Und wir fanden es besser, nicht in Kurzarbeit zu gehen und unsere Mitarbeitenden voll zu zahlen. Ich habe die Zeit aber auch genutzt, um mal durchzuatmen. Ich war dann länger zu Hause, hab viel im Garten gemacht.

 

Das heißt, du konntest dann nicht mehr für Quartiermeister arbeiten, weil ihr wegen Corona mit der Raupe so beschäftigt wart?

Ich würde nicht sagen, dass es nur an Corona lag. Ich glaube, die Umstände haben aber noch mal mehr aufgezeigt, dass ich eigentlich zu viel arbeite. Peter und ich hatten ein wirklich schönes Gespräch, in dem er mir dann auch gesagt hat, dass es ja irgendwie immer klar war, dass ich als Geschäftsführer von einem Projekt nicht unbedingt noch viel nebenbei machen kann, weil man ja auch über jede Minute Freizeit froh ist. Für den Anschub in Stuttgart hat das mit mir ganz gut gepasst, denke ich, weil ich in Stuttgart einige gute Kontakte zu Gastronomen habe. Dadurch fiel es eventuell auch leichter, Quartiermeister in dem ein oder anderen Laden unterzubringen – oder auch bei den zwei Getränkehändlern, was durch die Raupen-Connection ziemlich einfach ging. Es war uns aber klar, dass es irgendwann einen Nachfolger geben muss, weil ich nicht mehr als 10 Stunden machen kann. Corona hat das Ganze vielleicht ein wenig beschleunigt.

Wenn wir eine neue Person finden, dann würde ich mit dieser Person auf jeden Fall eine Übergabe-Zeit machen – auch wenn ich nicht mehr offiziell bei Quartiermeister arbeite. Das ist mir super wichtig. Dass wir dann zusammen zu den zwei Getränkehändlern fahren und in die Läden, wo Quartiermeister in Stuttgart verkauft wird. Da sehe ich mich voll drin, dass ich das noch mache und ordentlich übergebe.

 

Das ist ja lieb!

Was heißt lieb? Ihr wart ja genauso lieb (lacht). Das ist für mich irgendwie selbstverständlich.

 

Max, durch dich gibt’s Quartiermeister überhaupt in Stuttgart und durch dich können wir in Stuttgart hoffentlich bald Projekte fördern. Wie geht’s dir denn damit, dass du bei Quartiermeister jetzt raus bist?

Ich finde das tatsächlich ein bisschen traurig, weil mir die Arbeit richtig Spaß gemacht hat: durch die Stadt touren und in Läden über das Konzept von Quartiermeister zu sprechen. Und ich wünsche mir sehr, dass wir eine Person finden, die das mit genauso viel Herzblut macht. Ich bleibe aber auch nach wie vor mit Quartiermeister verbunden, weil es das Bier weiter in unserem Laden geben wird. Peter meinte auch, dass wir in Berlin noch einen kleinen Abschied feiern werden. Das ist das, was ich am traurigsten finde: Durch Corona ist alles etwas verflossen. Ich war dann total ad hoc raus aus den Gesprächen. Das ist durch das Virus irgendwie etwas blöd gelaufen. Dass wir den Abschied noch einmal nachholen, finde ich cool.  

 

Momentan gibt es noch keinen Ersatz für dich. Glaubst du, dass es Quartiermeister nach wie vor in Stuttgart geben wird?

Ich denke, die Läden, in denen es Quartiermeister gibt, halten daran fest. Dahinter stehen überall Menschen, die total vom Konzept und vom Produkt überzeugt sind. In der Raupe ist Quartiermeister auch gesetzt und die Nachfrage ist da. Ich glaube, Quartiermeister bleibt auf jeden Fall in Stuttgart.

 

Was waren für dich die größten Herausforderungen, die mit Corona einhergegangen sind?

Für uns in der Raupe waren wir hauptsächlich mit Teamprozessen beschäftigt. Die Pandemie hat dazu geführt, dass wir bei uns gewisse Dinge angehen. Das waren hauptsächlich persönliche Vorstellungskonflikte. Wir haben die Raupe zu fünft gegründet. Das ist unser Baby. Dadurch, dass wir alle nebenbei noch andere Dinge gemacht haben, hatte die Raupe bei den verschiedenen Leuten eine andere Priorität. Da sind wir oft aneinandergeclashed. Da gings viel um Zukunftsvorstellungen: Wer führt die Raupe weiter? Bleiben wir in der Fünfer-Konstellation? Öffnen wir uns? Nehmen wir Neue mit ins Kernteam? Wir sind nicht fünf Freunde, die gemeinsam eine Idee gesucht haben, sondern die Idee war da und die fünf Leute haben sich gefunden. Da gings also tatsächlich viel um Persönliches. Jetzt sind zwei neue Leute mit ins Team gekommen. Das hat viel Energie und frischen Wind in die Orga gebracht. Wir haben dann Zukunftswerkstätten veranstaltet, Teamcoachings. Wir sind intern ganz viel angegangen. Im Betrieb haben wir viel Neues ausprobiert: Kioskbetrieb, eine Soli-Küche für Obdachlose, neuer Außenbereich, … Das war eine richtige Achterbahnfahrt, was den Betrieb anging.

Wir haben in der Zeit sehr viel Solidarität von den Menschen entgegengebracht bekommen, die normalerweise wir geben. Im Kioskbetrieb haben uns die Leute teilweise kistenweise Bier abgekauft, weil die total scharf auf die Produkte waren, die wir hier anbieten. Das hat echt Bock gemacht.

 

Hattest du manchmal Angst, dass die Raupe Immersatt nicht überleben wird?

Nein. Wir sind mit nem großen Gewinn aus dem letzten Jahr herausgegangen, weil wir uns als Vorstand keine Gehälter ausgezahlt haben. Deshalb hatten wir ein gutes Grundkapital. Damit konnten wir drei, vier Monate auch ohne Betrieb über die Runden kommen. Andere Gastronomen haben ab Tag 1 gesagt, dass sie es nicht schaffen werden. Gastronomie ist ein Geschäft, das oft auf Kante genäht ist.

 

Das heißt, du kennst Gastronomen, die den Lockdown nicht überlebt haben?

Ja, es gibt zwei Läden, die ich kenne, die jetzt geschlossen haben.

 

Als Gastronom hast du sicher Ängste vor einem zweiten Lockdown. Wie wahrscheinlich hältst du es, dass wir kurz vor einer zweiten Welle stehen?

Ich halte es schon für wahrscheinlich, weil die Fallzahlen wieder steigen. Man wird generell unvorsichtiger und nimmt das Ganze nicht mehr so ernst. Das merke ich auch bei mir selbst. Wir hatten z.B. im Juni unser Einjähriges. Da kamen viele Leute und die Bude war auf einmal voll. Solche Situationen sind besonders in Räumen echt schwierig, da die Belüftung fehlt. Sobald die Belüftungssituation gut ist, hat das Virus weniger Chancen auf Grund von Aerosol in der Luft oder weil die direkte Infektion unwahrscheinlicher ist. Sprich: Wenn im September oder Oktober wieder mehr drinnen stattfindet, finde ich das ganz schön schwierig. Ich bin gespannt und hoffe, dass das Virus weiter ernstgenommen wird.

 

Wie handhabt ihr das mit den Hygieneregeln in der Raupe?

Wir sind strenger als die Auflagen. Bei uns gilt nach wie vor Maskenpflicht in der Räumlichkeit – sowohl für Gäste als auch für Mitarbeitende. Offiziell müsste nur das Service-Personal eine Maske tragen. Das finden wir aber seit Beginn ziemlich irrsinnig. Warum sollte ich als Servicekraft die andere Person schützen, aber nicht andersherum? Deshalb gibt’s in den Räumlichkeiten eine Maskenpflicht. Wie beim Einkaufen. Der Fairteiler-Schrank wird ganz normal befüllt. Da gibt’s weiterhin Selbstbedienung. Allerdings mit vielen Hinweisschildern zum Händewaschen. Das zu kontrollieren, sehen wir auch als eine Aufgabe von uns als Personal an. Wir selbst waschen uns nach jedem Geldkontakt die Hände.

 

Kannst du etwas Positives aus der Krise für dich, die Raupe und für Quartiermeister ziehen?

Am Anfang der Krise habe ich eine Welle von Solidarität empfunden. Dann kam aber schnell die Forderung „zurück zur Normalität“. Das ging für mich gar nicht klar. Das ist doch jetzt die Chance, gesamtgesellschaftlich Dinge besser zu machen.

Für mich persönlich war die Krise ein Zeichen, mehr auf mich selbst zu achten und mit meinem Pensum herunterzufahren. Ich möchte mir mehr Zeit für mich und für Freunde nehmen und nicht sieben Tage die Woche arbeiten. Ein Schritt ist nun traurigerweise, dass ich nicht mehr für Quartiermeister arbeite.

Positiv für die Raupe waren die teaminternen Prozesse, die wir angegangen sind. Was Quartiermeister betrifft, habe ich Dinge ja nur noch von außen mitbekommen. Allerdings fand ich es krass, was so teamintern lief. Ich glaube, man kommt als Team in so einen coolen Modus. Von außen ist das unsichtbar, aber von innen heraus muss man zusammenhalten. Das habe ich bei Quartiermeister auch so wahrgenommen: den Zusammenhalt.

 

Wie hast du denn von diesem Teamspirit mitbekommen, von dem du jetzt sprichst? Du warst ja schon raus…

Ich habe mir natürlich immer die Protokolle durchgelesen (lacht). Das mache ich immer noch. Es interessiert mich schon, was bei Quartiermeister abgeht. Ich habe auch mit Peter ein paar Mal telefoniert.

 

Glaubst du, dass du in Zukunft wieder für Quartiermeister arbeiten kannst oder willst?

(Lacht). Also wollen würde ich das gerne, weil ich die Zeit richtig geil fand. Die Teamtreffen haben mir immer viel Spaß gemacht, weil bei Quartiermeister geile Leute sind. Wer weiß, wo die Reise hingeht? Es kann alles passieren, deshalb treffe ich da mal keine Aussage.

 

Gibt es etwas, was du jetzt noch loswerden möchtest?

An Quartiermeister möchte ich loswerden, dass wir unbedingt das Alkoholfreie im Süden brauchen. Und sonst… Naja, also ich finde, die Corona-Zeit ist eine Zeit, um sich über gewisse Dinge bewusst zu werden. Und ich bin etwas traurig, dass das von politischer Seite aus nicht wirklich genutzt wurde. Es ging darum, die Großen zu retten und die Kleinen müssen zusehen, wo sie bleiben. Eigentlich bietet diese Phase eine gute Grundlage, um viele gesellschaftliche Themen zu reflektieren. Deshalb nervt mich die Einstellung „zurück zur Normalität“ auch so sehr. Ich wäre eher für „auf zu neuen Ufern“. Was können wir besser machen als Gesellschaft? Wie kriegen wir es hin, dass uns eine Pandemie nicht nochmal so beuteln würde? Was hat uns die Pandemie über unser Gesundheitssystem gezeigt? Wie ist unser Verhältnis zu Tieren und was hat das mit der Pandemie zu tun? Wann hören wir endlich auf, auf Kosten von Menschen in Ländern des Globalen Südens zu leben? Fragen über Fragen.


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