„Wir brauchen eigentlich keine Flyer verteilen, wir haben mehr Nachfrage als wir Möglichkeiten haben.“

Autor aylin.peters

Erstellt am 23. Januar 2021 10:43


Im Februar letzten Jahres hatten wir die Chance den Verein Back on Track e.V., der 2016 gegründet wurde, mit insgesamt 2000€ zu unterstützen. Das Geld wurde für den Kauf einer benötigten, neuen Bestuhlung für den Seminarraum ausgegeben. Im Dezember letzten Jahres sind dann endlich die lang ersehnten Stühle angekommen! Das wollten wir uns nicht entgehen lassen und sind Petra, die Projektleiterin, in der Hauptgeschäftsstelle des Vereins an einem frühen Mittwochmorgen besuchen gegangen. Noch bevor der Betrieb unter den aktuellen Maßnahmen begann, haben wir die neue Bestuhlung bestaunt, um es uns dann bei einem Kaffee gemütlich zu machen und ausgiebig zu quatschen.

Zu allererst wollen wir wissen, wie es zur Vereinsgründung kam. Petra erzählt uns, dass sie selbst vierzehn Jahre in Syrien gelebt hat und wegen des beginnenden Bürgerkriegs gemeinsam mit ihren Kindern nach Berlin flüchtete. Ihre beiden Töchter sind in Syrien zur Schule gegangen und mussten in Deutschland die Erfahrung machen, dass das Schulsystem nicht besonders offen ist. Ihre ältere Tochter war in Damaskus kurz vor dem Abitur, hier wurde ihr aber dazu geraten „doch lieber eine Lehre zu machen“. Die Jüngere hingegen hatte das Glück an eine Pilotschule für selbstorganisiertes Lernen zu kommen, an der sie total aufgeblüht ist. Die Lehrer*innen dort haben ihre Potenziale und Ressourcen gesehen, genutzt und gefördert. Diese Beobachtung war der Motor für Petra. Hinzu kam die Erkenntnis, dass es für Familien die kein Deutsch sprechen und das deutsche Schulsystem nicht kennen, noch schwerer ist, ihre Kinder zu unterstützen und durch das System zu boxen. Die Erfahrungen an Schulen sind größtenteils entmutigend, sodass viele Kinder durch die großen Lernlücken total aus dem Bildungssystem rausfallen und einfach nicht mehr reinkommen. Petra beschloss damals, etwas dagegen zu unternehmen. Mit ihren persönlichen Erfahrungen im Hinterkopf, startete sie einen Aufruf auf Facebook, um Menschen zu gewinnen, die sie bei ihrem Vorhaben unterstützen. Ihr Anliegen: Kindern genau diese Hilfestellung zu leisten, die sie nirgends bekommen, aber brauchen, um durch das Schulsystem zu kommen und nicht von Anfang an hinten runter zu fallen. Viel Arbeit, Sturheit und Schweiß später, hat es sich gelohnt, denn Back on Track ist sehr stark gewachsen, mittlerweile zählt der Verein 11 Angestellte, 7 ständig anwesende Ehrenamtliche, 43 Mentor*innen und insgesamt 150 Kinder. Der Bedarf ist unglaublich groß, da die Schulen überfordert sind. „Wir brauchen eigentlich keine Flyer verteilen, wir haben mehr Nachfrage als wir Möglichkeiten haben.“ ,erzählt uns Petra.

Aber was macht Back on Track denn nun genau? Der Verein schafft ein spezielles Angebot für geflüchtete syrische und irakische Kinder und Jugendliche, die durch die Flucht nicht zur Schule gehen können und somit Lernlücken haben. Ziel des Vereins ist es, dass sie mithilfe des besonderen Konzepts des selbstorganisierten Lernens den Bildungsstand zu gleichaltrigen Mitschüler*innen aufschließen können, um z.B. den MSA zu schaffen. Die Kinder und Jugendlichen können dafür einmal die Woche kostenlos in die verschiedenen Kiezzentren kommen, wo es offene Treffen ohne Zwang und unabhängig von der Schule gibt. Dort können sie dann gemeinsam mit einem/einer Mentor*in den von ihnen gewählten Unterrichtsstoff in ihrem Tempo behandeln. Kernelement ist dabei, dass die Mentor*innen sie in der Muttersprache unterstützen, mit dem Ziel, dass die Kinder wieder verstärkt Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten bekommen.

Back on Track verfolgt das Konzept des selbstorganisierten Lernens. Petra erklärt uns, dass du dabei selbst entscheiden kannst, was du machen möchtest, was du dafür brauchst und in welchem Tempo gearbeitet wird. Denn das Wichtigste, was die Kinder und Jugendlichen nach so einer Erfahrung brauchen, ist jemand, der sich daneben stellt und sagt: „Du bist in Ordnung, du kannst das alleine schaffen und wir helfen dir dabei!“ Es wird außerdem viel Wert auf einen sensiblen Umgang gelegt, weshalb alle Mentor*innen eine spezielle Ausbildung absolvieren. So wissen sie, was Traumata mit Kindern machen und welche Auswirkungen das aufs Lernen hat, sodass sie auf ihre Bedürfnisse angepasst reagieren können.

Zum Schluss wollen wir außerdem gerne noch von Petra wissen, weshalb die neue Bestuhlung so dringend notwendig war. Die Projektleiterin erzählt uns, dass sie zunächst gebrauchte Stühle nutzten, als sie in die neue Geschäftsstelle einzogen. Einfach weil das Geld fehlte. Diese sind dann mit der Zeit immer instabiler geworden und teilweise sogar unter den Teilnehmer*innen zusammengebrochen. Den Mentor*innen und Schüler*innen hat es dann irgendwann gereicht. Sie forderten: „Könnt ihr euch nicht endlich neue Stühle anschaffen?“. Die niedrigschwellige Quartiermeisterförderung machte es möglich.

Das Problem in den Schulen ist leider nicht mit ein paar Jahren Arbeit getan. Es herrscht ein strukturelles Problem vor. Immigrierte Kinder werden systematisch benachteiligt. Es gibt keine bis wenige sensibilisierte Fachkräfte für Menschen mit Fluchterfahrungen. Bildung ist essentiell und bildet den Grundstein für die Zukunft eines jeden Menschen. Umso wichtiger ist es, dass es solche Initiativen wie Back on Track gibt, die genau an diesem Punkt Veränderung schaffen.


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