Lisa zählt quasi zu Quartiermeisters Inventar. Sechs Jahre lang arbeitete sie für die GmbH – zunächst als Praktikantin, dann als studentische Hilfskraft und Vollzeitkraft. Letztes Jahr zog es sie für ein Masterstudium nach Görlitz. Von dort aus rockt Lisa die Vereinskoordination weiß auf alle Fragen rund um unsere Projektförderung die passende Antwort.
Was hast du gedacht als du zum ersten Mal von Corona in den Medien gehört hast?
Ich habe das Ganze fast schon täglich ab Dezember verfolgt als es in China losging. Damals habe ich gedacht, dass Corona etwas sehr Ernstes aber Fernes ist. Ich hatte größere Sorgen als mein persönliches Umfeld. Mir nahestehende Personen haben mich teilweise für verrückt erklärt und mir geraten, meinen Medienkonsum zu überdenken. Durch die tägliche Information habe ich die überwältigende Dynamik von Beginn an als Bedrohung wahrgenommen, die immer näher rückt und die keine*r so richtig ernst nimmt.
Das heißt, du hast Corona schon relativ früh als Bedrohung angesehen?
Ja, wobei das eher eine abstrakte Angst war. Ich hatte keine Angst davor, selbst zu erkranken. Ich hatte Angst davor, dass eine globale Krise entsteht, dass die Wirtschaft kracht und dass das erhebliche soziale Folgen mit sich bringt. Als es dann immer ernster wurde, war ich echt froh, in Deutschland zu leben. Ich kann mich trotz der Umstände auf ein starkes Gesundheits- und Sozialversicherungssystem verlassen, auf Politiker*innen, die verantwortungsvoll mit diesem Thema umgehen. Ich habe einige Freund*innen in Italien und kannte die Situation vor Ort. Ich hatte nie die Angst, dass hier Verhältnisse wie in Norditalien eintreten würden. Aber ich hatte ein riesiges Mitgefühl für das Leid in dieser Region.
Du bist als studentische Mitarbeiterin bei Quartiermeister für den Verein angestellt und koordinierst die Vereinsmitglieder und die Förderung. Welche Auswirkungen hatte Corona auf deine Arbeit?
Der Zeitpunkt des Lockdowns hätte nicht ungünstiger sein können. Eine Woche zuvor, am 7. März, fand in Berlin unsere Jahreshauptversammlung statt, zu der sich alle Mitglieder aus Deutschland trafen, um die 55.000 € Fördergelder für 2020 auf die verschiedenen Fördertöpfe zu verteilen. Anfang März war also eigentlich eine Periode des Aufbruchs, wo ich dachte: „Jetzt geht’s los! Das Fördergeld wächst! Unsere Wirkung wird immer größer!“ Die Jahreshauptversammlung hat bei mir eine so starke Motivation ausgelöst, auch weil so viele neue Gesichter dabei waren, aus München, aus Stuttgart, aus Halle. Alles Ehrenamtliche, die in den Startlöchern standen und sich für die Förderung des Gemeinwohls in ihrer Stadt einsetzen wollten.
Und dann kam diese E-Mail von Peter und David, aus der ersichtlich wurde, dass Corona riesige Auswirkungen auf Quartiermeister haben wird. Ich sehe heute noch die Zahl vor mir: 80% Umsatz über die Gastronomie, der auf einen Schlag wegfallen kann. Das hat bei mir extreme Panik ausgelöst. Ich glaube, ich hab mich dann erstmal auf’s Bett geschmissen und geheult.
Der Austausch danach war aber sehr transparent, verständnisvoll und beruhigend. Gespräche helfen mehr als tausend E-Mails. Die Projektförderung wurde dann nach einer Entscheidung zwischen dem Vorstand des Vereins und der Geschäftsführung der GmbH erst einmal auf Eis gelegt, weil wir durch die kommenden Umsatzverluste nicht zahlungsfähig gewesen wären und erstmal die Arbeitsplätze schützen wollten.
Für mich hat das bedeutet, dass meine eigentliche Arbeit – nämlich Projekte fördern – nicht mehr existierte. Da kam dann gleich die nächste existenzielle Angst. Ich bin wieder Studentin und finanziere mich mit Jobs und Projekten, die man hier und da bekommt. Quartiermeister war nicht das Einzige in den zwei Monaten, was von einem Moment auf den anderen zu entgleiten schien. Ich hatte mir Anfang März ein riesiges Whiteboard gekauft, auf dem ich meine ganzen Jobs und Aufgaben koordinieren wollte. Naja, das Whiteboard ist dann einfach weiß geblieben, das war ein deprimierender Anblick (lacht). Die finanzielle Unsicherheit hat mir eine Zeit lang richtig, richtig doll zu schaffen gemacht. Meine Familie ist sofort in die Bresche gesprungen, das ist ein großes Privileg, das danke ich ihnen sehr, aber mit 27 fühlt sich das nicht so geil an.
Auch der Quartiermeister Verein hat mich unterstützt und gesagt, dass er meine Stelle halten wird. Ich habe mich dann mit Dokumentationsarbeit und Liegengebliebenem beschäftigt. Ein großer Teil meiner Zeit ist dafür drauf gegangen, Kontakt zur Geschäftsführung und zum Vorstand zu halten, um alle getroffenen Entscheidungen transparent an die Vereinsmitglieder zu kommunizieren. Ich habe außerdem die „Wertuellen Kneipenabende“ auf Instagram Live ins Leben gerufen. Dort haben wir mit verschiedenen Expert*innen über Wertewandel in unserer Gesellschaft gesprochen. Das war für mich eine gute Ablenkung, eine Art Beschäftigungstherapie und rettete mich vor einer sinnlosen Leere, vor der ich die ganze Zeit Angst hatte. Anderen Leuten ging es natürlich viel schlechter. Die hatten mit ganz anderen Dingen zu kämpfen, das habe ich mir immer vor Augen gehalten. Aber schon krass, wieviel Selbstwert und Identität in einer sinnerfüllenden Arbeit steckt.
Die Förderung wurde nun durch die Umsatzeinbußen erst einmal auf Eis gelegt. Was denkst du darüber? Und was denken die anderen aus dem Verein?
Total spannend fand ich, dass niemand aus dem Verein die Entscheidung, die Förderung einzufrieren, angegriffen hat. Alle wussten: Wenn es der GmbH schlecht geht, geht’s auch dem Verein schlecht. Diese riesengroße Solidarität, dieses An-einem-Strang-Ziehen habe ich vorher noch nicht so erlebt. Als Kontrollorgan der GmbH wurden früher durchaus mal unternehmerische Entscheidungen vom Verein hinterfragt oder kontrovers diskutiert. Diese Notbremse fanden alle berechtigt.
Wir haben natürlich auch besprochen, auf welcher Entscheidungsgrundlage wir die Förderung wieder starten können. Denn es handelt sich ja um Geld, das im Jahr zuvor – also 2019 – zusammengetrunken wurde. Gleichzeitig hängt alles vom Cashflow des Unternehmens ab. Ich denke, für den Verein ist es ideell sehr wichtig, die Fördersumme und die beschlossenen Töpfe aufrecht zu erhalten und das Ganze nur zeitlich zu verschieben. Seit einer Woche ist klar, dass wir die Förderung ab Oktober langsam wieder hochfahren können. Das freut mich riesig! Wir starten in Leipzig und dann im November in Stuttgart. Alle drei Monate werfen wir einen Blick auf die Liquidität und bestimmen die Förderrunden für das nächste Quartal. Es bleibt also erstmal alles beim Alten und Beschlossenen, nur dass wir keinen Jahresplan, sondern einen Quartalsplan verfolgen, um flexibel auf Änderungen zu reagieren.
Wie empfandest du die Kommunikation zwischen GmbH und Verein? Inwiefern wurde der Verein in Entscheidungen involviert?
Ein Großteil des Austauschs fand tatsächlich zwischen Geschäftsführung und Vorstand des Vereins statt. In der Anfangszeit war das gefühlt jede Woche. Die Entscheidungen wurden gesammelt und mit einer Feedbackschleife an den Verein weitergegeben. In einer Online-Mitgliederversammlung haben wir dann nochmal ausführlich über die Entscheidungen gesprochen. Gerade am Anfang mussten finanzielle Entscheidungen schnell und gezielt getroffen werden, da konnten wir schwer fünfzig Menschen aus über fünf Städten im Prozess involvieren.
Du wohnst in Görlitz und bist neben deiner Arbeit bei Quartiermeister auch mit anderen Projekten beschäftigt. Wie ist es für dich, die Corona-bedingten Veränderungen bei Quartiermeister aus der Ferne mitzuerleben?
Am Anfang hat es wie gesagt zu einer riesigen Verunsicherung geführt. Die GmbH hat montags immer ihre Meisterrunde, in der sich alle austauschen können. Da bin ich aufgrund meiner Vereinstätigkeit aber nicht persönlich dabei, sondern lese nur Protokoll. Geschriebene Fakten tun dann eben mehr weh, als das gesprochene Wort. David hat mir angeboten, dazuzukommen und einfach mitzureden. Aber ich hatte das Gefühl, meine Unsicherheit lieber mit mir selbst auszumachen oder in Vier-Augen-Gesprächen zu teilen, als in einer großen Runde.
Wie fühlt es sich an, als Studentin von verschiedenen Jobs und Projekten abhängig zu sein?
Das Problem war, dass meine anderen Jobs ausschließlich Festivals betrafen. Es war Ewigkeiten unklar, ob diese Veranstaltungen stattfinden können. Das heißt ich habe auf etwas hingearbeitet, von dem ich gar nicht wusste, ob das stattfinden wird oder ob ich überhaupt bezahlt werde. Wenn man als zugegebenermaßen etwas ältere Studentin nicht vom Amt oder den Eltern abhängig sein möchte, dann hat man oft viele, prekäre Arbeitsverhältnisse. Wenn ein Dominostein umfällt, dann macht der gesamte Finanzplan keinen Sinn. So war das bei mir. Es hat sich im Mai dann jedoch glücklicherweise aus dem Nichts eine andere Job-Option aufgetan. Im Nachhinein ein Glücksgriff.
Bei Quartiermeister geht es nicht nur um Bier und die eigenen Leute, sondern auch um soziale Projekte. Wie schätzt du die Auswirkungen von Corona auf die Projektlandschaft ein?
Ich denke, die Auswirkungen betreffen zwei Dimensionen. Die erste Dimension umfasst die Folgen für die Projekte selbst. Ihnen fehlt Geld durch entgangene Veranstaltungseinnahmen, oder projektbezogene Fördermittel. Manche Initiativen decken sich über das gesamte Jahr nur mit Projektförderungen und zahlen damit anteilig laufende Nebenkosten wie bspw. Mieten. Wenn diese Einnahmen fehlen, wird es sehr schnell existenziell.
Die zweite Dimension geht über die Projekte hinaus und umfasst die Folgen für die Gesellschaft, wenn sich diese Projektlandschaft ausdünnt. Ich finde die Quartiermeister-Förderung gerade so toll, weil es um Projekte geht, bei denen Menschen zusammenkommen, die gesellschaftlich etwas verändern wollen. Leute, die sich für Nachhaltigkeit oder ihre Nachbarschaft einsetzen. Häufig trifft man auf das Vorurteil, dass die Wirkung dieser kleinen Projekte sehr gering und lokal ist. Ich bin aber der Meinung, dass der notwendige Wandel, in Bezug auf die Frage „Wie können wir uns hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft entwickeln?“, gerade nur im Kleinen, also in der Lebenswelt der Menschen stattfinden kann. Überall dort, wo Menschen freiwillig zusammenkommen und etwas ändern möchten, um ihre Selbstwirksamkeit zu erfahren. Wenn solche Orte des spontanen und zivilgesellschaftlichen Zusammentreffens verloren gehen, gehen nicht nur gehörige Veränderungspotenziale, sondern auch der gesellschaftliche Zusammenhalt verloren.
Kannst du etwas Positives aus der Krise für dich und für Quartiermeister ziehen?
Ich fange mal bei mir an. Für mich persönlich war der Lockdown nach der ängstlichen Anfangszeit ein Moment, in dem ich feststellte, es ist auch gut, mal Dinge zu tun, die keinen höheren Sinn verfolgen. Ich bin zudem ein Mensch, der gern längerfristig plant und das auch auf Arbeit erwartet. Mich hat es wahnsinnig gemacht, wenn Menschen sich nicht an Absprachen gehalten haben oder tausend Sachen in letzter Sekunde veränderten. Durch Corona habe ich gemerkt, dass ich damit doch umgehen kann. Entscheidungen und Fristen über den Haufen zu werfen tut nicht mehr so weh.
Außerdem wurde meine Fernbeziehung – mein Freund wohnt noch in Berlin – über einen längeren Zeitraum eine Nahbeziehung und das Aufeinanderhocken tat richtig gut.
Für Quartiermeister glaube ich, dass die Motivation, für das Gute zu kämpfen, im Team noch weiter gewachsen ist. Bullshitjobs lassen sich in Kurzarbeit gut aufgeben, bei Quartiermeister haben alle zusammengehalten und sich trotz der persönlichen Belastungen als eine Gemeinschaft verstanden. Corona hat gezeigt, wie anfällig unser wachstumsbasiertes Wirtschaftssystem bei Krisen ist, wie schnell Finanzmärkte reagieren, wie schnell die Arbeitslosenzahlen nach oben schießen und auf wen eigentlich im Endeffekt Verlass sein muss. Ich hoffe sehr, dass der temporäre, starke Verzicht nicht dazu führen wird, dass im Nachhinein alle komplett ausrasten werden, sondern grundsätzlich mit weniger auskommen. Aber da scheiden sich ja die Geister. Ich glaube jedenfalls, dass ein Wirtschaftssystem, in dem es in erster Linie um Gemeinwohl und Kooperation geht, nicht um Konkurrenz, Konsumwahnsinn oder Wachstumszwang, belastbarer wäre und soziale Folgen besser abgefedert werden. Wäre jetzt mal ein guter Moment, sich ausführlicher mit möglichen Systemalternativen zu befassen.
Wie wahrscheinlich hältst du es, dass die zweite Welle kommt und was würdest du im Falle einer zweiten Welle anders machen?
Ich denke, in Deutschland befinden wir uns schon in der zweiten Welle. Ich muss meine Wut auf Corona-Leugner*innen und selbsternannte Freiheitskämpfer*innen zügeln. Mein Verständnis hält sich da stark in Grenzen, meine Geduld in Gesprächen ebenfalls. Ich persönlich habe kein Problem damit, mich wieder in Quarantäne zu stecken. Ich habe kein Problem damit, mich zum Wohle anderer einzuschränken. Und was für eine Freiheitsbeschränkung ist bitte eine Maske im Supermarkt? Was ich allerdings anders machen würde, ist nicht mehr alle zwei Stunden irgendwelche Zahlen online zu checken, wie viele Menschen sich jetzt wie und wo infiziert haben. Das hat mich wirklich ein bisschen wahnsinnig gemacht.