Heute im Gespräch: Peter – unser zweiter Geschäftsführer und Mitgründer von Quartiermeister. Peter leitet den Vertrieb und kümmert sich mit David um die Bereiche Strategie und Personal. Als Corona ausbrach, war Peter dabei, voller Tatendrang die Expansion nach Hamburg einzuleiten, die sofort auf Eis gelegt wurde. Wie sich Peters (Berufs-) Leben von einen Tag auf den anderen geändert hat, lest ihr im Interview.
Ab welchem Zeitpunkt hast du angefangen, Corona für dich, deine Familie und Freunde und Quartiermeister als Bedrohung wahrzunehmen?
Ehrlicherweise relativ spät. Ich habe den Corona-Verlauf in China immer beobachtet, aber nie mit meinem Berufs- oder Privatleben zusammengebracht. Als das Virus dann in Italien ausgebrochen ist, dachte ich mir, dass es der deutschen Wirtschaft schaden wird. Ich hatte aber keinen blassen Schimmer, in welchem Ausmaß. Am 13. März haben wir bei Quartiermeister beschlossen, dass wir von jetzt an alle zu Hause bleiben. Für diese Woche hatte ich noch Tickets für ein Slime-Konzert im SO36. Ich erinnere mich, dass ich am Montag noch drüber diskutiert habe, ob ich dort hingehen würde. Das war die Woche, in der alles super schnell ging. Auch der mediale Shift war zu spüren. Mir war dann relativ schnell klar, dass ich nicht auf dieses Punk-Konzert gehen würde. Es wurde dann auch offiziell abgesagt – so wie alles andere.
Auch privat habe ich die Auswirkungen dann sehr plötzlich, sehr stark gespürt. Eine Arbeitskollegin meiner Freundin war in der Trompete, was damals mit 25 Infizierten der absolute Corona-Hotspot war. Die Kollegin hatte anschließend Symptome. Ich bin dann mit meiner Freundin in Quarantäne geblieben und habe in der Zeit wirklich alles über Corona gelesen, was es zu lesen gab. Da wurde mir sehr klar, dass es mich privat und beruflich trifft.
Was ging dir als Geschäftsführer und Vertriebsleiter durch den Kopf, als am Wochenende vom 13.-15. März der Lockdown verhängt wurde?
Als Geschäftsführer habe ich mir extrem große Sorgen gemacht, was die weitere Existenz von Quartiermeister angeht. Ich fühlte mich ohnmächtig, da wir überhaupt keinen Einfluss auf die Entwicklungen hatten. Von einem Tag auf den anderen war durch die Schließung der Gastronomie unser erster und wichtigster Vertriebskanal dicht. Dass wir irgendwann mal eine Wirtschaftskrise erleben werden, war mir eigentlich klar. Jeder, der Wirtschaft macht, erlebt auch Krisen. Ich konnte mir bis zu dem Zeitpunkt aber nicht vorstellen, dass es Krisen gibt, in denen man innerhalb von einem Tag von 100 auf 0 fällt. Das hat mich mental hart getroffen.
Auch als Vertriebsleiter ist das richtig bitter. Wir haben Leute, die richtig guten Vertrieb machen, den ich sagen musste, dass ich auch nicht weiß, was sie tun sollen. Zu wissen, dass Dreiviertel unseres Vertriebs-Teams zu Hause sitzt und ihnen die Hände gebunden sind, ist ein komisches Gefühl. Eigentlich hat man im Vertrieb immer was zu tun, weil man sich die Arbeit selbst macht. Und wenn man das eine nicht machen kann, macht man halt das andere. Es gibt so viele potenzielle Kunden da draußen, die noch nie von uns gehört haben. Auf einmal dann die Füße still zu halten, hat mir überhaupt nicht gefallen im ersten Moment. Die Leute bei uns im Vertrieb sind alle total motiviert und wollen was reißen.
Ich habe mir auch große Sorgen gemacht – und das mache ich immer noch – wie Berlin nach Corona aussehen wird, weil die Gastronomie und die Kultur in Berlin doch sehr von kleinen, unabhängigen Läden lebt. Das macht Berlin aus. Ich dachte schnell, dass genau diese coolen Läden, die ich persönlich auch sehr gerne mag, als erstes betroffen sein werden.
Wie war denn das Vertriebs-Team drauf?
Die waren schon bedrückt. Meine Rolle als Vertriebsleiter beinhaltet häufig, Leuten zu spiegeln, was sie machen oder Vorgehensweisen zu verstärken oder in Frage zu stellen. Häufig sieht die Erwartungshaltung so aus, dass ich irgendeine Meinung habe oder sage: Wir machen jetzt das! Oder: Wenn das nicht geht, machen wir das! Wie nun eine Pandemie verläuft, kann ich jedoch genauso wenig vorhersagen wie irgendjemand anders bei uns im Team. Ich konnte keine neuen Vertriebsstrategien entwickeln, weil es einfach nicht viel gab. Wir haben uns dann mit dem Stay Home Club mit anderen Möglichkeiten beschäftigt und was auf die Beine gestellt.
Bei Tcuni hat sich abgezeichnet, dass sie zumindest telefonisch arbeiten kann, weil der Handel ja nicht wie die Gastro gestorben ist. Aber in den Gesprächen mit Benni, Marko und Andre war ich tatsächlich das erste Mal ein bisschen sprachlos in meiner Rolle. Das war auf jeden Fall eine neue Erfahrung (lacht).
Hast du Beispiele von uns nahestehenden Kunden, die durch die Pandemie hart getroffen wurden?
Ja. Eigentlich alle wichtigen Kunden haben oder hatten große Probleme. Das YAAM, Zum Franziskaner oder SO36 haben direkt angefangen, Crowdfunding-Kampagnen zu machen. Einige Kunden haben bereits dicht gemacht. Wie das schlussendlich alles ausgeht, weiß aber keiner, weil sich gerade das Insolvenzrecht verschoben hat. Man muss eine Insolvenz aktuell nicht anzeigen – bis Ende September. Das heißt, dass im September/Oktober viele Insolvenzen kommen könnten.
Was hat der Gastro-Lockdown in Zahlen für Quartiermeister bedeutet?
Im ersten Quartal hatten wir im Vergleich zum ersten Quartal 2019 über 40% Wachstum. Das hätte für uns ein sehr gutes Jahr werden können. Ich habe angenommen, dass es so weitergeht wie in den ersten Monaten. Nach einem sehr guten ersten Quartal kam dann das katastrophal schlechte zweite Quartal. Da haben wir mehr als 60% unserer Umsätze verloren, die wir letztes Jahr hatten. Was wir uns im ersten Quartal erarbeitet haben, wurde durch die Krise komplett eingerissen. Die Getränkebranche ist sehr frühlings- und sommerlastig. Q2 und Q3 sind die Quartale, in denen wir Geld verdienen. Deshalb war es zeitlich gesehen der denkbar schlechteste Augenblick für uns. Zum Anfang dachten wir, dass wir mit dem Handel und dem Online-Geschäft nur ein Viertel unserer Umsätze auffangen können. Wir haben dann im konventionellen Handel Gas gegeben und auch im Bio-Handel viele Aktionen gestartet – also alles getan, was ging, um möglichst viel rauszuholen. Dadurch konnten wir knapp 40% unseres Vorjahres-Umsatzes reinholen.
Also lief es besser als erwartet?
Ja. Jede Kiste oder Flasche, die wir über den Handel, über unseren Shop oder den Stay Home Club verkauft haben, hat uns gutgetan. Alles, was das Loch ein bisschen kleiner gemacht hat, hat geholfen.
Auf Festivals und anderen Events wird normalerweise relativ viel Quartiermeister getrunken. Was bedeutet es für das Unternehmen, dass alle Veranstaltungen abgesagt wurden?
Alleine für ein großes Festival war ein LKW Quartiermeister vorgesehen, also so 1.400 Kisten. Das ist alles Absatz und Geld, das uns jetzt fehlt. Und es sind Kunden, die wir lange aufgebaut haben. Auf der anderen Seite muss man auch sagen, dass die 40%, die wir machen konnten, sehr positiv sind. Vor drei bis vier Jahren hätten wir mit dem Handel ca. 10% Umsatz aufgefangen, weil wir kaum in Supermärkten standen. Dass wir in den letzten Jahren versucht haben, nicht nur von der Gastro und Events abhängig zu sein, zahlt sich jetzt aus. Für reine Gastro-Marken ist es wie für die Gastronomen: Denen wurde der Geldhahn von heute auf morgen zugedreht. Uns fehlt nun knapp die Hälfte, aber wir haben zumindest noch die andere Hälfte. Ich bin zwar weit davon entfernt zu sagen, dass es uns nicht hart getroffen hat – es hat uns schon richtig hart getroffen – aber vor ein paar Jahren hätte uns Corona wahrscheinlich komplett den Stecker gezogen. Wir hatten zumindest ein bisschen, was wir dagegenhalten konnten.
Gab es trotzdem Momente, in dem du Angst hattest, dass Quartiermeister Corona nicht überleben würde?
Ja, schon. Die ersten ein bis zwei Wochen nach dem Lockdown war das eine reale Angst, dass wir das nicht überleben. Man muss dazu auch sagen, dass David und ich keine Erfahrungen mit Kurzarbeit hatten. Wir sind eigentlich immer gewachsen seit es Quartiermeister gibt. Es war völlig unklar, ob, wann und in welcher Summe man Zuschüsse bekommt. Es war unklar, ob wir Kredite bekommen und wenn ja, in welcher Höhe. In den ersten Wochen habe ich nur gesehen, was alles einbricht und verloren geht, ohne dagegen halten zu können.
Ich habe dann angefangen, hochzurechnen, wie sich die Infektionszahlen weiterentwickeln würden. Der Reproduktionswert lag dann irgendwann über 3. Ich habe mit diesem Wert mal einen Monat vorkalkuliert, und dachte: Scheiße, wenn sich das jetzt so weiterentwickelt – keine Ahnung, wann dann der Lockdown vorbei sein wird. Ich war mir anfangs wirklich sehr unsicher, ob wir das überstehen. Wobei es darauf ankommt, was man unter Überstehen versteht. David und ich wollten natürlich alles dafür tun, das Unternehmen zu sichern. Zeitgleich wollten wir unbedingt das bestehende Team durch die Krise bekommen. Man kann das natürlich wie andere Unternehmen machen: Krise – Sorge – wir entlassen alle. Und stellen irgendwann wieder ein. Nach dem Motto: Wenn man keine Ausgaben hat, braucht man auch keine Einnahmen. Das war für uns keine Option.
Wie hat sich deine Arbeit als Geschäftsführer und Vertriebsleiter in den letzten Wochen und Monaten verändert?
Fundamental. Vor Corona steckte ich mitten in den Vorbereitungen für die Expansion in den Norden und nach Hamburg: Partner gewinnen, ich wollte hinfahren und Personalgespräche führen, ich wollte jemanden einstellen. Mein Fokus lag voll auf Expansion. In den ersten Wochen habe ich mich fast nur mit David ausgetauscht, um zu schauen, was wir machen können, um Corona zu überstehen. Ich habe Zahlen gewälzt, um herauszufinden, wie viel Geld wir brauchen, welche Maßnahmen wir ergreifen und wie wir das nach innen und außen kommunizieren. Und im Vertrieb habe ich versucht, alles, wo man noch irgendwie Bier verkaufen kann, zu pushen. Im März haben wir mit dem Stay Home Club angefangen und im April hatten wir die ersten Handels-Aktionen.
Ich habe viel mehr Geschäftsführer-Tätigkeiten ausgeübt als vorher. Da lief ja alles. Und im Vertrieb gabs für mich auch eine 180 Grad Wende. Die Sachen, die ich vorher gemacht habe, sind gar nicht mehr auf dem Tisch. Und die Sachen, die ich jetzt mache, gab‘s nicht davor. Ich war voller Arbeit. Eigentlich kann ich ganz gut abschalten und trenne Freizeit und Beruf. Das ist mir zum Anfang gar nicht gelungen. Ich habe schlecht geschlafen, das ganze Wochenende mit David telefoniert, ständig Quartiermeister und die Krise im Kopf gehabt.
Wie hat sich die Arbeit der anderen Vertriebsmitarbeiter*innen verändert?
Wir haben direkt Kurzarbeit eingeführt. Daher hatten alle viel weniger Zeit, um überhaupt Vertrieb zu machen. Die meisten hatten aber ohnehin zum Anfang keine Kunden, die sie hätten ansprechen können. Deshalb hat sich deren Arbeit radikal geändert: viel weniger Zeit und viel weniger bis kein Potenzial, überhaupt was zu reißen. Teilweise haben wir Kunden angerufen, einfach nur um zu fragen, wie es ihnen geht und wie sie klarkommen.
Hatten die Kunden für solche Gespräche überhaupt einen Kopf?
Ich hatte schon das Gefühl, dass es fast allen Leuten guttat, sich auszutauschen. Teilweise wussten sie auch nicht, was sie jetzt beantragen oder dass sie überhaupt Sachen beantragen können. Oder wir haben angeboten, z.B. Crowdfunding Kampagnen zu teilen. Das ist natürlich kein Gamechanger, aber es setzt zumindest ein Zeichen.
Wie hat sich Quartiermeister im Vergleich zu anderen vergleichbaren und befreundeten Unternehmen geschlagen?
Es ist schwer, Vergleiche zu ziehen. Das ist total abhängig davon, in welcher Branche man unterwegs ist. Auch, ob ein Unternehmen finanziert ist oder nicht, wie viele Mitarbeiter*innen man hat, ob man kreditwürdig ist etc. Mir fallen viele Unternehmen ein, mit denen ich während der Krise gesprochen habe, aber eigentlich ist keins 1:1 vergleichbar mit unserem. Ich würde aber trotzdem sagen, dass wir uns gut geschlagen haben. Wir haben gelernt, dass wir kreditwürdig sind bei der Bank. Es gab eine Umfrage von SEND e.V. Ich glaube, da lag der Anteil unter 5% der Sozialunternehmen, die einen KfW Kredit bekommen haben. Wir gehören also zu den wenigen, die diesen Kredit bekommen. Ich glaube, das Krisenmanagement war gut. Ich habe das Gefühl, dass wir es mit allen Stakeholdern – Verein, Mitarbeitenden, Geldgebern – so hinbekommen haben, dass wir gut miteinander umgegangen sind und es nicht zu großen Konflikten kam. Es gab Verständnis in alle Richtungen. Es hat sich so angefühlt, als würden alle mitziehen. Das hat es auch für mich einfacher gemacht. Es ist schön, Unternehmer zu sein, wenn es nur darum geht, dass man wächst und es drum geht, ob man mehr Leute einstellt oder das bestehende Team besser bezahlt oder beides und sich überlegt, was man sich als nächstes vornimmt. Aber wenn man seinen Leuten sagen muss, dass sie jetzt weniger verdienen und man nicht weiß, wie und ob es weitergeht, dann ist das kein schöner Unternehmer-Moment. David und ich waren schon sehr mitgenommen von der Situation. Deswegen hat es mir sehr gutgetan, zu merken, dass uns viel Vertrauen ausgesprochen wird und alle mitziehen, sodass es auch nicht so ein internes Ding gibt, wie: Ich mach aber viel mehr als A! Oder: B macht nichts! Es gab keine Konflikte mit uns oder im Team untereinander. Wir konnten die Werte und die Unternehmenskultur, die wir in den letzten Jahren aufgebaut haben, aufrechterhalten. Die Unternehmenskultur ist krisenfest. Das fand ich außergewöhnlich und das hat mich sehr bestärkt.
Lustig, ich habe dann auch viel gelesen, wie man als Führungskraft mit der Krise umgehen soll und wie man es schafft, dass die Leute einem vertrauen und wie man Transparenz einführt. Teilweise klang dann so durch: Ok, ihr wart bislang nicht transparent, ihr habt kein vertrauensvolles Verhältnis aufgebaut und jetzt ist Krise und ihr fordert es ein. Da gabs wohl nie die Unternehmenskultur und auf einmal wurde es wegen der Krise eingefordert, dass die Leute so miteinander umgehen. Da habe ich gemerkt, dass Unternehmenskultur schon ein robustes Ding ist – ein gutes Fundament, um, wenn es mal scheiße läuft, trotzdem gut klarzukommen.
Wie würdest du Quartiermeisters Unternehmenskultur beschreiben?
Ein großer Wert, den wir auch nach außen kommunizieren, ist Transparenz. David und ich waren uns immer einig, dass wir nicht so tun werden, als sei nichts, sondern die Dinge aussprechen und auch sagen, dass es im worst case dazu kommen kann, dass wir nicht alle weiter beschäftigen können. Dinge, die eintreten können, zu verschwiegen, ist nicht so geil. Das ist schlechtes Erwartungsmanagement. Natürlich haben David und ich haben uns nicht wirklich auf diese Gespräche gefreut, in denen man seinen Mitarbeiter*innen sagen muss, dass – wenn‘s hart auf hart kommt – einige ihre Jobs verlieren könnten. Aber es tat gut, ehrlich zu sein. Und ich hatte auch immer das Gefühl, dass wir damit ans Team gehen konnten. Solche Gespräche können auch anders verlaufen.
Was wir auch versuchen, ist, dass wir uns nicht immer nur auf Business-Ebene unterhalten. Wenn wir unsere Meisterrunden machen, dann reden wir immer darüber, wie es uns geht. In unserer Halbjahresauswertung haben wir einen Block gemacht, in dem wir alle reflektiert haben, was die Krise mit uns gemacht hat – persönlich und beruflich. Bei uns ist es nicht ungewöhnlich, zu kommunizieren, dass es einem gerade nicht gut geht oder dass man Ängste und Sorgen hat. Wenn so ein Umgang bereits etabliert ist, kann man natürlich in Krisenzeiten auch leichter darüber sprechen. Wenn du hingegen eine „Silicon-Valley-Wir-Sind-Die-Geilsten-Startup-Unternehmenskultur“ hast, würde ich anzweifeln, dass sich die Leute vors Team stellen und sagen würden: „Mir geht’s beschissen, ich hab Angst um meinen Job oder um die Unternehmung“. Die menschliche Ebene ist definitiv Teil unserer Unternehmenskultur und macht uns aus. Genau wie wir ein Social Business nach außen sind, sind wir auch nach innen sozial. Wir machen Business, wir sind keine Hippie-Klitsche, die nur über ihre Gefühle redet – aber eben auch. Wir haben Ambitionen und Ehrgeiz, versuchen aber gleichzeitig menschlich miteinander umzugehen. Wenn David und ich mal Trübsal geblasen haben, gabs auch Leute im Team, die dafür Gespür hatten und einen gewissen Gegenpol gesetzt haben. Das gehört für mich auch zu unserer Unternehmenskultur. Dass nicht alles von der Geschäftsführung kommt. Es gab uns gegenüber viel Vertrauen, aber auch innerhalb des Teams. Auch jenseits von David und mir ist viel gelaufen, was gut war.
Was ich tatsächlich krass finde, und was mir auch imponiert hat, ist der Fakt, dass – und das sagen wir in jedem Podcast, in jedem Interview, dass es um den Impact geht und um die Sache – dass alle im Team dazu standen und immer die Fahne hochgehalten haben. Corona ist ein krasser Einschnitt für alle. Ich hätte auch verstanden, wenn es in den letzten Wochen zu Unmut gekommen wäre und sich die Leute mehr um ihre eigenen Belange geschert hätten. Ich fand das wirklich imponierend, dass, obwohl es hart auf hart kam, alle zusammengehalten haben. Das ist ähnlich wie in einer Freundschaft oder in einer Beziehung: Wenn’s richtig scheiße läuft, dann sieht man, wie wichtig einem die Sache ist – oder dem anderen. Und ob man bereit ist, dafür zu kämpfen. Das hat mir sehr deutlich gezeigt, dass wir die richtigen Leute haben. Ich weiß nicht, ob das Unternehmenskultur ist oder einfach Überzeugung. Ich habe das Gefühl, das passt zu dem, was wir uns auf die Fahne schreiben. Ich glaube nicht, dass das überall so ist.
Würdest du rückblickend etwas anders machen oder anders entscheiden?
Das ist tatsächlich schwierig zu sagen. Ich habe mir vorgenommen, das alles am Ende des Jahres oder Anfang nächsten Jahres noch einmal zu evaluieren. Sowohl quantitativ als auch inhaltlich. Ich glaube, am Ende haben wir versucht, uns daran aufzuhängen, was der Worst Case sein könnte und alles einzurichten, dass wir auch überleben, wenn dieser Fall eintritt. Das ist besser, als sich an einem Mittel-Case auszurichten. Ich würde da wahrscheinlich wieder so herangehen. Denn wenn man selbst überhaupt keinen Einfluss darauf hat, welcher Case eintritt, sollte man vom schlechtesten ausgehen, wenn es um die Existenz geht. Eine wirkliche gute Auswertung kann man aber sicherlich erst vornehmen, wenn die Krise vorbei ist. Während unserer Halbjahresauswertung wurde uns bereits der Blick geschärft, was passiert ist und dass das bislang schon extrem dramatisch war. Deswegen waren auch die Maßnahmen als Reaktion dramatisch.
Kannst du etwas Positives aus der Krise für dich und für Quartiermeister ziehen?
Da musst du jetzt einen kleinen Ausbruch ertragen (lacht). Auch wenn ich bei uns den Ruf des Optimisten innehabe, kriege ich viele Artikel bzw. Antworten auf diese Frage in den falschen Hals, die sagen, dass diese Krise doch eine richtig geile Chance ist: „Jetzt machen wir alles neu. Voll geil. Jetzt setzen wir die Wirtschaft neu auf. Und ich kann jetzt sieben Mal am Tag Yoga machen und Spanisch lernen“. Ich denke dann, wie ignorant manche Leute eigentlich sind. Ich meine, Deutschland geht’s im Vergleich gut als Land. Und uns, die noch Jobs haben, die nicht arbeitslos sind, die psychisch stabil sind und nicht Hometeaching machen müssen. Aber die anderen gibt’s halt auch. Und die sind glaube ich in der Mehrheit. Deshalb regt es mich einfach auf, wenn Leute sagen, dass Corona doch eigentlich super geil ist. Das finde ich makaber und ignorant. Fast schon egoistisch bzw. selbstbezogen.
Wir sind in einer Zeit, in der Nationalismus wieder en vogue ist. Das höchste aller Gefühle – und da muss man schon ordentlich bohren – ist europäische Solidarität. Und die muss man schon in Klammern setzen. Darüber hinaus – who cares? Größte Hungersnot seit langem in den Startlöchern – egal! Ich hab meinen Job und mache mehr Sport. Polen, Israel, … – es gibt diverse Länder, die jetzt Notstandsgesetze auf den Weg bringen und ihre Demokratie abbauen. Ich glaube nicht, dass das nach Corona wieder zurückgenommen wird. Gesellschaftlich, im Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit, wirft uns Corona gefühlt weit zurück. Der Staatshaushalt sinkt, weil die Wirtschaft nicht mehr funktioniert. Unzählige Menschen verlieren ihre Arbeit und somit auch ihr Einkommen aufgrund von Insolvenzen oder Entlassungen. Die häusliche Gewalt steigt extrem an. Die psychische Folgen für viele fallen sicherlich ebenfalls extrem aus, das ist aktuell noch gar nicht alles richtig abzusehen. Und es sterben sicherlich noch eine halbe bis eine Millionen Menschen dieses Jahr, wenn nicht mehr.
Es gibt mit Sicherheit auch Positives, aber ich sehe deutlich mehr negative Folgen. Und ich denke, dass Leute, die nur Positives sehen, privilegiert sind und nur auf ihr Leben bzw. ihr direktes Umfeld schauen. Die reden nur über sich statt über die globale Pandemie als solche.
Trotzdem bieten Krisen einen guten Moment, zu reflektieren, ob man zufrieden ist mit dem, was man macht und warum man das macht. Eine gewisse Reflektion gibt’s ja schon. Ich freue mich aber erst, wenn daraus etwas Systemisches wird.
Ich persönlich habe gemerkt, dass Quartiermeister viel resilienter und stärker ist, als ich dachte. Und dass wir als Team sehr stark sind. Die Krise ist in ihrem Ausmaß einmalig. Ich denke, dass wir für die Zukunft viel besser gewappnet sind. Ich hab für mich selbst gemerkt, was mir gut tut in Krisenzeiten und wie ich mich selbst am Laufen halte.
Was würdest du im Falle einer zweiten Welle anders machen?
Ich denke, mir wäre inzwischen klarer, was ein zweiter Lockdown heißt. Ich könnte das Ausmaß besser einschätzen. Ich würde nicht mehr an das Bild eines Sprints, sondern an das eines Marathons denken, in dem wir uns nach wie vor befinden. Wir haben in den letzten Wochen viel gelernt, z.B. wie Kurzarbeit funktioniert und wir wären bei einer zweiten Welle viel schneller. Ich würde mich wahrscheinlich nicht ganz so ohnmächtig fühlen und nicht so verloren.