"Wichtig ist nicht, woher ein Mensch kommt, sondern was er alles im Park machen möchte"
Cengiz Dermici ist seit über einem Jahr der Parkmanager des Görlitzer Parks und soll ihm ein neues Image verschaffen. In Zusammenarbeit mit verschiedenen ansässigen Initiativen & Projekten, sowie mit einer aktiven Bürger*innenbeteiligung soll ein „Wohnzimmer für alle“ entstehen. Welche Chancen & Herausforderungen birgt ein Umwandlungsprozess wie dieser und wie können öffentliche (Frei)räume wieder stärker für das Gemeinwohl genutzt werden? Wir trafen Cengiz und sprachen über das Modellprojekt des Bezirksgrünflächenamts Friedrichshain-Kreuzberg.
Wie würdest du den Görlitzer Park in seinem jetzigen Zustand als öffentlichen Raum beschreiben?
Cengiz: Der Görlitzer Park ist ein Raum für Freidenker*innen. Er besitzt eine Wildheit, die dem Menschen die Möglichkeit gibt frei zu denken. Solch einen Raum – der das Wilde herauskitzelt – braucht jede Stadt.
Welche Möglichkeiten & Potenziale birgt der Park?
Cengiz: In der Zukunft sollen neue Räume geschaffen werden z.B. ein neuer Bolzplatz mit vielen Sportalternativen, Räume für Diskussionen, Spielereien & Selbsthilfe, also drogenfreie Treffpunkte. Das Ziel ist es dabei nicht, die Wildheit zu besänftigen, sondern neue Räume mit Hilfe und in Zusammenarbeit mit vielen unterschiedlichen Menschen zu schaffen. Den Anwohner*innen soll die Möglichkeit geboten werden, wieder Verantwortung für ihr Umfeld zu übernehmen. Es ist ein anstrengender Prozess, aber sobald der ins Rollen kommt, bewegt sich alles.
Welche Herausforderungen birgt der Park?
Cengiz: Ich denke, die generelle Herausforderung des 21. Jahrhunderts ist die Integration aller. Die Gesellschaft führt aber derzeit eine falsche Debatte darüber. Integration heißt nicht, dass sich Migrant*innen integrieren müssen. Integration bedeutet, dass sich alle in diese neue Form der vielfältigen Gesellschaft integrieren sollten – egal ob Deutsche, Alte, Türken… Die Frage ist, wie schaffen wir eine Bürger*innenbeteiligung, an der wirklich alle teilhaben können. Auch weniger Rede- und Wissensbegabte müssen die Debatte verstehen und ihre eigene Meinung mitteilen können. Wir befinden uns derzeit noch im elitären Bereich der Bürger*innenbeteiligung, sie soll aber für alle geöffnet werden. Das ist die aktuelle Herausforderung für den Görlitzer Park.
Im Konzept zum Görlitzer Park wird explizit auf die Zusammenarbeit zwischen Bezirksgrünflächenamt (Politik), Anwohner*innen (Bürger*innenbeteiligung), angrenzenden Vereinen und dir als Koordinationsstelle eingegangen. Wie sieht diese Zusammenarbeit in der Praxis aus?
Cengiz: Grundsätzlich gibt es zwei Anlaufstellen: Mich und den Gründungsrat. Alle Menschen die Ideen, Probleme oder Beschwerden bezüglich des Parks haben, können dahin kommen. Das Ziel ist, auf der Basis dieser Anregungen Projekte zu entwickeln und die Ideen in die Praxis umzusetzen. Prinzipiell kann weder der Parkmanager noch der Gründungsrat eigene Projekte umsetzen, da die juristischen Strukturen fehlen, um öffentliche Gelder zu beantragen. Deswegen sind beide Akteure eher ein Sammlungsbecken von Wünschen und Anregungen. Der Gründungsrat oder das Parkmanagement suchen dann Initiativen aus dem Kiez, die solche Projekte umsetzen könnten und kontrolliert, ob daraus positive Resonanzen entstehen. Der Gründungsrat soll thematische Anstöße geben und die Entwicklungen des Parks an die Öffentlichkeit tragen. Das Bezirksgrünflächenamt zeigt die Richtlinien und Rahmenbedingungen auf und informiert über bestehende Regeln, zum Beispiel, dass keine laute Musik im Park gespielt werden darf. Nun soll das Amt aber dazu animiert werden, flexibler zu sein. Solange man Illegalität nicht kontrollieren kann, sollte man kontrollierte Freiheiten zur Verfügung stellen. Zum Beispiel kann dann verstärkte Musik nach einer vorherigen Anmeldung an einem bestimmten Platz gespielt werden.
Wie kann ich Teil des Entscheidungsgremiums werden?
Cengiz: Zum einen hat man die Möglichkeit an den Wahlen teilzunehmen und für einen Platz im Parkrat zu kandidieren. Wird man nicht gewählt, hat man die Möglichkeit als Beisitzer*in an den Sitzungen teilzunehmen. Das Ziel ist es, einen Parkrat mit vielen Menschen zu organisieren. Diese könnten sich in verschiedenen Untergruppen organisieren. Zu betonen ist, dass der Parkrat wirklich für alle offen ist. Die nächste Wahl findet im Juni statt.
Dein Bauwagen mit Büro steht zentral mitten im Görli. Die Medien haben in letzter Zeit ausführlich über dich und das Handlungskonzept berichtet. Du bist quasi der Ansprechpartner für alle. Was schätzt du an deinem Job und welchen Herausforderungen begegnest du täglich?
Cengiz: An meinem Job schätze ich, dass ich mit Menschen zusammenarbeiten, diskutieren und Lösungen finden kann. Ich selbst profitiere davon nicht direkt, da ich nicht in Kreuzberg wohne. Vielleicht schaffe ich es aber, eine kleine Spur in der Geschichte zu hinterlassen, sodass Menschen am Ende sagen können: „Der Park, ein Wohnzimmer für alle! Es ist schön! Mein Görli ist mir wichtig und ich teile ihn mit allen anderen!“ Die Herausforderung dabei ist, dass jede Gruppe ihre Interessen unbedingt durchsetzen will. Ich kann die Drogendealer nicht vom Görli verweisen, sondern ihnen nur sagen, dass sie nicht so eng stehen und den vorbeigehenden Menschen Platz lassen sollen, Frauen nicht belästigen oder Kindern und Jugendlichen nichts verkaufen sollen. Es fehlt den Menschen das Bewusstsein, dass der Görli ein Park für alle ist, für Jung und Alt. Wir müssen lernen, emphatisch zu sein und die Rechte von anderen Menschen zu schützen und zu achten – auch Rechte, die sie zum Teil aufgrund von Aufenthaltsstatus, Alter oder Sprache selbst nicht schützen können. Jede Community will ihre eigenen Vorstellungen durchsetzen – Ruheliebende, Drogendealer, Hundebesitzer*innen, Sportler*innen. Diese Gruppen respektieren und tolerieren sich noch nicht genug. Sie sollen aber in Zukunft zur Reflektion ihres eigenen Verhaltens angeregt werden.
Welche Projekte wurden bisher schon erfolgreich umgesetzt?
Cengiz: Da dies ein Modell-Projekt ist, müssen sich alle Gremien finden und neu erfinden. Bei einigen geht dieser Prozess schneller und bei einigen langsamer. Man muss sich das so vorstellen: Es gibt Akteur*innen, die arbeiten Vollzeit und können professioneller an dem Prozess arbeiten. Und dann gibt es ehrenamtliche Personen die sich aller zwei Wochen für 2-3 Stunden im Gremium treffen. Darüber hinaus ist das dann ein Gremium mit elf unterschiedlichen Charakteren, die sich auf eine Meinung einigen müssen. Ich bin sehr froh, dass sich Menschen dazu bereit erklären etwas für die Allgemeinheit zu tun. Ach was, ich bin dankbar dass Menschen ihre Freizeit dafür hergeben, um für andere eine schöne Lebenswelt zu schaffen, aber es braucht eben seine Zeit. In Planung ist der Umbau des Bolzplatzes zu einer modernen Fläche mit vielen Breitensportmöglichkeiten, auch mit betreuten Sportangeboten. Der Lagerplatz soll zu einem Platz mit vielen verschiedenen Angeboten (von Kaffee bis zu afrikanischem oder arabischen Essen, Fahrradwerkstatt und Atelier) umgestaltet werden. Diese Projekte sollen im März starten. Im Sommer soll ein Sommerteegarten aufgebaut werden. Dort kann dann kostenlos Tee getrunken werden. Generell lässt sich sagen, dass ein Park Kulturangebote braucht, sonst stirbt er. Durch freie und offene Kulturangebote soll jede*r die Möglichkeit bekommen mit seinen Mitmenschen in Kontakt zu kommen.
Unter welchen Bedingungen würdest du die Umsetzung des Handlungskonzepts als erfolgreich für dich selbst und den Park einstufen? Was müsste bis dahin geschehen?
Cengiz: Erfolgreich bin ich, wenn ich nicht mehr gebraucht werde. Es gibt sehr gut funktionierende Parkstrukturen in anderen Orten auf diese Welt. Wir sollten nicht immer das Rad neu erfinden, sondern Projekte die schon erfolgreich sind, adaptieren oder transformieren. Ich denke an Parks die es geschafft haben sich selbst zu verwalten, zum Beispiel durch eine Parkgenossenschaft oder eine Parkstiftung, die von Bürger*innen des Kiezes organisiert wird. Ich weiß nicht, ob dieser Wunsch realisierbar ist. Aber ich tue alles im Rahmen meiner Möglichkeiten. Solange ich hier arbeite, werde ich versuchen alle ins Boot zu holen. Meine Absicht ist, den Park nicht nur einer Gruppe zu geben, sondern der Allgemeinheit. Wichtig ist nicht, woher ein Mensch kommt, sondern was er alles im Park machen möchte.