Der International Women* Space hilft geflüchteten Frauen aus der Isolation

--

 

Mit dem ersten Quartiermeister-Stipendium fördern wir neun Monate lang den feministischen und antirassistischen Frauen*verein International Women* Space (IWS). Zwischen September 2019 und Mai 2020 erhält der Verein monatlich 1000€, wovon 20% in Weiterbildungsmaßnahmen fließen. Hauptziel der IWS-Arbeit ist, die Geschichten von Migrantinnen und geflüchteten Frauen zu erzählen. Ihre Lebensrealitäten und politischen Kämpfe sollen dokumentiert und so für mehr Menschen sichtbar und verständlicher werden.

 

Innerhalb des IWS hat sich eine Gruppe zur „Break Isolation Group“ zusammengeschlossen. Im Oktober 2019 starteten sie mit den Break Isolation Mobilization Tours. In deren Rahmen besuchen sie Erstaufnahmezentren und Unterkünfte, um sich mit geflüchteten Frauen zu vernetzen, sich auszutauschen und ihnen so aus der Isolation zu helfen, mit der sich viele der Bewohnerinnen konfrontiert sehen.

 

Das erste Ziel war die Flüchtlingsunterkunft in Hennigsdorf in der Nähe von Berlin. Doris Messa leitete die Aktion im Oktober 2019. Sie selbst war 2016 in Hennigsdorf untergebracht als sie nach Deutschland flüchtete und kennt das Gefühl der Isolation nur allzu gut. Auch sie erfuhr vor Ort zwei gewaltvolle Abschiebungsversuche. Doch Doris leistete Widerstand und konnte sich gegen die Abschiebung wehren. Spurlos an ihr vorbeigegangen sind diese Erlebnisse aber nicht. Ihre Wut und die traumatischen Verletzungen wandelt sie in Energie um – in Energie, anderen Frauen zu helfen, die heute in vergleichbaren Situationen leben. Mut und Optimismus will sie zu ihnen tragen und sie zum Zusammenhalt inspirieren.

 

Die nächste Station war im November das Erstaufnahmezentrum in Eisenhüttenstadt. Es ist die erste Anlaufstelle für alle Geflüchteten, die nach Brandenburg kommen.

Bei beiden Besuchen luden Doris und ihre Kolleginnen Frauen dazu ein, in einer Gruppe von 15-20 Teilnehmerinnen offen über ihre Probleme zu reden. Schnell entwickeln sich intensive Gespräche, die Frauen finden Lösungen und Wege, einander zu helfen. Sie sind aus Kamerun, Kenia, Tansania, Somalia, Togo, Ghana und Nigeria geflohen. In ihrer schweren Lage kann der Austausch mit Frauen ähnlicher Erfahrung aus der Isolation helfen und empowern.

 

In der Erstunterkunft in Eisenhüttenstadt leben die Frauen erst seit einigen Wochen oder Monaten, in Hennigsdorf hingegen schon seit bis zu acht Jahren. Obwohl sie sich also in unterschiedlichen Situationen befinden, sind die Probleme ähnlich.

 

Das Größte davon ist die ständig lauernde Gefahr einer plötzlichen Abschiebung. Gefangen in der konstanten Angst davor haben die Frauen nicht die Möglichkeit, sich von dem zu erholen, was sie vor und während ihrer Flucht durchgemacht haben. Sie berichten von der verzweifelten Anstrengung, sich Strategien zum Schutz vor Deportation auszudenken. Dieser Zustand führt zu weiteren Traumata. Manche der Frauen haben eine Arbeitserlaubnis. Viele von ihnen sind jedoch gezwungen, 80-Cent- bzw. 1-Euro-Jobs in den Lagern anzunehmen, weil die Erlaubnis fehlt und sie auf das Geld angewiesen sind, um so ihren Alltag zumindest ansatzweise zu meistern.

Weitere Probleme, von denen die Frauen in beiden Lagern berichten, sind Rassismus, ein mangelnder Zugang zu Sprachkursen und Launen des Personals in der Unterkunft.

 

Die Frauen in Hennigsdorf erzählen zusätzlich von Konflikten untereinander. Dadurch, dass sie lange auf engstem Raum miteinander leben müssen, gibt es hier viel Reibungsfläche und es kommt schnell zu Streit.
Außerdem berichten sie von Intransparenz von Seiten des Sozialamtes – das Amt streicht ihnen des Öfteren Leistungen, ohne einen Grund für diese Kürzungen anzugeben. Auch sexuelle Belästigung ist ein sehr präsentes Thema.

Gerade die Frauen, die schon lange in Deutschland leben, wollen endlich ein normales Leben anfangen. Dazu brauchen sie eine Arbeitserlaubnis und wünschen sich eine eigene Wohnung. Doch sie begegnen massiven Hürden. Viele ihrer Probleme bedingen einander und halten die betroffenen Frauen in einem Teufelskreis gefangen: wenn sie keinen Zugang zu Sprachkursen haben, können sie kein Deutsch lernen. Damit sinken die Aussichten auf eine Arbeitserlaubnis, und Geld für eine eigene Wohnung können sie so auch nicht verdienen.

Im Erstaufnahmezentrum in Eisenhüttenstadt ist auch die gesundheitliche Versorgung mangelhaft. Zwar gibt es eine Klinik im Lager, aber sie ist oftmals nicht besetzt. Außerdem werden die Frauen hier ohne einen Termin nicht versorgt. Das Personal geht nicht diskret mit den persönlichen Daten der Patientinnen um: Die Frauen sind hier gezwungen, vor allen anderen Patient*innen ihre gesundheitlichen Probleme zu besprechen. Eine Frau in der Gruppe berichtet, sie habe abgelaufene Medizin bekommen, eine andere erhielt falsche Medikamente.

 

Während des Besuches der Frauen durch den IWS konnte ein interner Konflikt unter den Frauen in Hennigsdorf gelöst werden. Zudem erhielten die geflüchteten Frauen den Kontakt zur Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migrant*innen sowie zur Rechtsberatung im Büro des IWS. Nur wenige Tage nach dem Besuch nahmen die ersten Frauen die Rechtsberatung bereits in Anspruch.

 

Die Frauen vom IWS bekamen nach ihrem Besuch viel positives Feedback. Eine der Heimbewohnerinnen in Hennigsdorf sagte, sie fühlte sich während des Besuchs wie zuhause und nicht mehr so isoliert.

Eine andere Frau in Eisenhüttenstadt trat gleich dem Verein bei. Die einzige Kritik aus dem Erstaufnahmezentrum: Die Informationen wären noch hilfreicher gewesen, wenn sie gleich zu Beginn des Asylverfahrens verfügbar gewesen wären. Deshalb beginnt der IWS in diesem Jahr ein neues Projekt mit regelmäßigen Besuchen in Eisenhüttenstadt, um Frauen gleich nach ihrer Ankunft in Brandenburg bestmöglich zu unterstützen.

 

Die Berichte der Besuche des IWS machen mehr als deutlich, dass die Arbeit dieser Frauen absolut unverzichtbar ist. Wir sind nach wie vor fest davon überzeugt, dass Quartiermeister mit dem Stipendium genau das richtige Projekt unterstützt. Wir sind stolz darauf, die Arbeit des IWS durch unsere Projektförderung zu unterstützen und wünschen den Frauen des IWS viel Kraft und Erfolg bei ihrer so wichtigen Aufgabe.

 

3. Februar 2020