An einem absurd warmen Februartag treffe ich bei neunzehn Grad und Sonnenschein Johanna, Tobi und Beatrix, Gründer*innen des Lokallabor Dudenschänke e.V. – kurz LoLaDu.
Das Lokallabor wurde von ihnen Anfang 2020 in der ehemaligen Eckkneipe „Dudenschänke“ eingerichtet. Es ist kurzgesagt ein öffentlicher Raum, in dem Menschen aus der Nachbarschaft zusammenkommen können. Sie tauschen dann Projektideen und Anliegen aus und setzen diese gemeinsam um. Ob eine Jamgruppe, oder das Anlegen von Beeten – den Ideen sind keine Grenzen gesetzt. Wichtig ist nur: Ein Beitrag zur Kiezkultur!
Das LoLaDu wurde im Januar aus dem Feuerwehrtopf von Quartiermeister mit 1000€ gefördert – ein speziell für Projekte in Not eingerichteter Fördertopf.
Nach einem freundlichen Hallo gehe ich mit den Dreien in den Viktoriapark, um mir dort bei einem alkoholfreien Quartiermeister von ihrem Projekt und dessen Geschichte erzählen zu lassen.
Wie aus der ehemaligen Eckkneipe „Dudenschänke“ der unkommerzielle Begegnungsraum „Lokallabor Dudenschänke“ wurde? Das ist eine Geschichte mit vielen Umwegen. Sie beginnt mit Erika, der ehemaligen Wirtin. Sie führt die Eckkneipe 44 Jahre lang, bis sie es aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr kann. Johanna, die im selben Haus wohnt, bekommt ihr Fehlen mit. Sie studiert zusammen mit Tobi und Beatrix in Potsdam Urbane Zukunft. Sie alle haben sich im Zuge des Studiums viel mit dem rasanten globalen Wandel beschäftigt und mit Wegen, wie jeder seinen Platz darin finden kann.
„Die Welt steht nie still“, sagt Tobi. „Wir sind alle vom Wandel betroffen, aber erfahren und verstehen tun wir ihn alle unterschiedlich stark. Im Studium haben wir festgestellt, was es braucht, um die Allgemeinheit den Wandel begreifen zu lassen und sie darin als handelnde Akteur*innen direkt miteinzubeziehen. Das sind vor allem Räume, in denen die unterschiedlichen Menschen zusammenkommen können, um gemeinsam darüber zu reden, wie man den Wandel auf lokaler Ebene selbst mitgestalten kann und wie man dann auch selbst aktiv werden kann.“
„Das, womit wir uns die ganze Zeit theoretisch beschäftigt haben, tauchte dann – durch die ungenutzte Dudenschänke – plötzlich vor unseren Augen auf“, erzählt Johanna.
Also sprachen sie mit der Wirtin Erika und dem Vermieter, inwieweit sie den Raum übernehmen können. Dahinter stand auch der Antrieb, den Raum mit seiner Geschichte vor der Gentrifizierung und Kommerzialisierung, unter denen die Kiezkultur in Kreuzberg stark leidet, zu bewahren. Die Vision war und ist weiterhin: einen öffentlichen Raum zur Kommunikation in kultureller Eigeninitiative schaffen, mit dem Ziel, den Wandel, den man in der Welt sehen möchte, selbst auf lokaler Ebene herbeizuführen.
Darauf folgte der Prozess der Umsetzung. Eine Abschlussfeier für Erika markierte den symbolischen Segen für das Projekt. Bei sich anschließenden Bauwochenenden zur Umgestaltung der Dudenschänke gab es erste „Bondingmoments“ mit Menschen aus der Nachbarschaft, die über die Schwelle ins Unbekannte traten. Ungeachtet ihrer verschiedenen Hintergründe zogen sofort alle Beteiligten an einem Strang. Das gemeinsame Projekt, den globalen Wandel auf lokaler Ebene gemeinnützig mitzugestalten, sollte Wirklichkeit werden.
„Das war sehr schön zu sehen“, erinnert sich Tobi. „Menschen, die sonst nie etwas miteinander zu tun gehabt hätten, kamen trotz ihrer unterschiedlichen Ansichten zusammen, um gemeinsam zu arbeiten.“
Die offizielle Eröffnung fand dann am 15.2.2020 statt. „Die Resonanz war riesig. Über den Tag – der war fast so schön wie heute – kamen bestimmt 300 Leute. Alle waren neugierig, was denn jetzt hier passiert. Dann war da auch ein Dokumentarfilmer, aus der Eylauer Straße, der sich gar nicht angekündigt hatte.“
Die erste permanente Maßnahme, um mit den Menschen zu interagieren, war ein Wunschkasten – ein Briefkasten, in den jeder Mensch Wünsche und persönliche Anliegen einwerfen konnte, wie man den Raum nutzen und was für Projekte man starten könne. Die wurden dann für jede*n sichtbar hinter einem Fenster aufgehängt.
Auch wurde ein offenes „Stammtischtreffen“ etabliert und monatlich einberufen. „Beim ersten Mal waren direkt über 20 Leute da. Da gabs Leute, die gesagt haben: 'Das ist doch eine super Idee, da müssen wir uns überlegen, wie man das auf solide Beine stellt!' Und vom ersten Treffen an, war die Idee einer Vereinsgründung von den Leuten selbst in den Raum gestellt."
"So hat sich das von den ersten Gesprächen hin zu einer Gruppe entwickelt, die eine Satzung ausgearbeitet hat und dann, am 1. Juli, kam es zur Vereinsgründung“, erzählt Johanna.
Diese rasante Entwicklung fand während der Coronakrise statt. Der erste Lockdown kam, als das LoLaDu gerade einmal einen Monat alt war.
„Ja, das war echt hart“, berichtet Johanna.
Doch die Pandemie hat die Entwicklung nicht stoppen können.
„Wir haben im ersten Lockdown viel digitalisiert und dann coronakonforme Kulturprojekte organisiert.“ So gab es eine Kiezjamgruppe, die bei offenem Fenster gespielt und die leeren Straßen mit ihrer Musik geflutet hat. Es gab einen Märchenerzähler, der im Innenhof Märchen vorgetragen hat. Es gab den Coronachor, der auf einer Brücke mit viel Abstand sang. Es gab einen Menschen, der Briefe geschrieben hat, die über den Kontaktkasten und die LoLaDu-Leute an einsame Menschen verteilt wurden… „Da ist noch echt viel gelaufen“, freut sich Johanna.
Auch der Schenkestand vor der Dudenschänke, an dem jede*r Sachen der Allgemeinheit zuführen kann, ist weiterhin ein Ort und Mittel zur Interaktion mit anderen Menschen – wenn auch mit Kontaktbeschränkungen.
„Ich frage mich schon oft, wo wir ohne die Krise nun stehen würden, auch auf finanzieller Ebene“, sagt Beatrix. „Das war natürlich auch bitter – wir gehen in das Projekt mit unseren privaten Mitteln und bezahlen jeden Monat Miete für einen Raum, den wir faktisch kaum nutzen können.“
„Unsere Währung ist Begegnung“, ergänzt Tobi. „Genau das, was wir als Kernidee haben, nämlich dass sich Leute treffen, die sonst nicht zusammenkommen würden und miteinander sprechen und Ideen aushandeln – das konnte es auf einmal so nicht mehr geben.“
Immerhin konnte Quartiermeister mit dem Feuerwehrtopf ein kleines Finanzpolster liefern und die Miete mitfinanzieren.
„Es hilft uns dabei, uns durch das erste Quartal zu tragen“, sagt Johanna.
Wie die Finanzierung darüber hinaus aussieht, ist weiterhin unklar.
Problematisch ist, dass die meisten Förderungen zweckgebunden sind und es nur wenige Institutionen gibt, die Miete finanzieren. Ein Traum für die Zukunft ist, dass die Kosten durch Mitgliedsbeiträge des Vereins getragen werden können, aber das ist noch sehr fern.
Hier kommt die Möglichkeit aller ins Spiel, das Projekt zu unterstützen. Spenden auf das Konto des Vereins sind gerne gesehen und der direkteste Weg, die tolle Arbeit des LoLaDus weiterhin möglich zu machen. Auch eine Mitgliedschaft beim Lokallabor e.V. hilft dem Projekt ungemein.
Ich möchte noch wissen, mit welchem Gefühl die drei auf das vergangene Jahr zurückblicken.
„Wenn ich auf das letzte Jahr zurückblicke, überwiegt trotz der vielen Hürden, die große Freude und Dankbarkeit über das, was passieren konnte und über die Menschen, wie schnell sie bereit sind, aktiv zu werden“, sagt Johanna. „Es ist DIE Hardcoreerfahrung, die wir machen konnten und wir sind zusammen da durchgekommen. Diese Belastungsprobe hat uns sehr stark gemacht.“
Da stimmen alle zu.
Nichtsdestotrotz ist die Zukunft des LoLaDus weiterhin ungewiss.
„Vieles liegt auf Eis und die Dudenschänke ist für die Öffentlichkeit geschlossen. Aber wir bleiben weiterhin analog über den Kontaktkasten und digital über die Social-Media-Kanäle soweit es geht mit den Menschen in Kontakt.“
Alle freuen sich darauf, die Türen der Dudenschänke wieder offen zu sehen und ihr Engagement wieder ungehindert durchführen zu können. „Wenn es wieder losgeht wäre es am schönsten, wenn jeder einfach vorbeikommt und sich anschaut, was passiert. Im besten Fall werden noch viele weitere Menschen vom Spirit mitgerissen“, sagt Tobi abschließend.
Wir gehen zurück zur Dudenschänke, wo wir uns verabschieden.
Wenn sie wieder öffnet, werde ich auf jeden Fall vorbeikommen.
Und ihr? 😊